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Wir arbeitslosen Hauptstadtjournalisten

Generation Netto

Neulich traf man sich mal wieder im Kreise arbeitsloser Exkollegen. Es war ein warmer Sommerabend und der Bezirk Neukölln mit Bedacht gewählt. Später versammelten wir uns um einen Grill in einer schön möblierten Dachlage mit Blick auf Baumarkt und Bowlingbahn. Vorher musste aber der Hermannplatz überquert werden. Hier ließ sich am lebenden Objekt studieren, wie es weitergehen könnte nach der Zeitungskrise. Ballonseidene Sportbekleidung, Ernährung aus der Flasche und eine lockere Sexualmoral in Wort und Tat, notfalls auch unter den Augen der abgestumpften Öffentlichkeit: Sieht so das Leben aus, wenn es „zur Dauerkrise“ wird?

Eine solche blüht nun denjenigen Journalisten, die dieser Tage ihren Job verlieren, wie Spiegel-Redakteur Dirk Kurbjuweit einer Zeitung verriet. Derartige Prognosen haben in anzeigenschwachen Zeiten Hochkonjunktur und so hat das öffentliche Sorgenmachen um die unglücklichen Arbeitslosen der Zeitungskrise sich in den vergangenen Wochen zu einem florierenden Genre gemausert. Dass die Entlassung von ein paar hundert Journalisten dabei zum generationellen Debakel aufgeblasen wird, war erwartbar. Journalisten schreiben am liebsten über Journalisten, und wenn man sich schon immer selbst als Maßstab aller Dinge genügte, dann muss die Lage der Nation geradezu zwangsläufig vom eigenen Schicksal abhängen.

Weiter blickende Analysten befürchten sogar einen Dominoeffekt für branchenfremde Wirtschaftszweige. Schenkt man den Einschätzungen der besser verdienenden Exkollegen Glauben, dann könnte die Medienkrise den Niedergang der Schickimicki-Gaststätten vom Hackeschen Markt nach sich ziehen, die erst die Stammgäste von der New Economy und nun auch noch die angeblich so erfolgsverwöhnte Jung-Journaille entbehren müssen.

Eine nicht repräsentative Stichprobe in einschlägigen Mitte-Bars ergab jedoch, dass dort noch immer dieselben Kollegen herumhocken, die das Downshifting schon mühelos beherrschten, als sie in den Redaktionsstuben noch Arbeit simulierten. Nun versaufen sie langfristig ihre Abfindungen im fünfstelligen Bereich. Warum auch nicht? Worldcom-Aktien zum Beispiel sind in Zeiten wie diesen billig wie nie, aber wenig zukunftsweisend. Mai Tai und Wodka Lemon bleiben dagegen vergleichsweise kurzfristige Investmentoptionen mit absehbarem Gewinnrisiko.

Nur wer nicht über eine ansehnliche Abfindung verfügt, und das sind immerhin die meisten, muss sich jetzt in antizyklischem Denken üben. Eine junge Exkollegin berichtete bei einem Moabiter Gesprächskreis anonymer Arbeitsloser unlängst zwischen Dosenbier und Selbstgebackenem, dass sich ein paar Pinkslipperinnen der amerikanischen New Economy für ein Herrenmagazin ausgezogen hätten. Das hatten die Damen zwar symbolisch gemeint, es half aber auch ökonomisch ein bisschen über die Runden. Nachahmer sollten sich nun beeilen, denn die Armut im Sozialstaat macht bekanntlich dick und unansehnlich. Auch dies lehrt der Hermannplatz.

Leider sind selbst hochflexible Exjournalisten noch immer zu zimperlich. Die ehemalige Feuilleton-Redakteurin zum Beispiel, die für einen internationalen Konzern ein quasi-künstlerisches Propagandaheft zusammenstellen sollte, schmiss den hoch bezahlten Job nach nur drei Tagen. Das geforderte Maß an Selbstverleugnung vermochte sie nicht aufzubringen.

Das alles muss sich nun ändern. Ein preisgekrönter Gerichtsreporter aus der Konkursmasse des vormaligen Hauptstadtjournalismus geht derzeit mit gutem Beispiel voran. Der studierte Theologe verdient neuerdings sein Geld krisensicher mit Leichenpredigten auf den Berliner Friedhöfen. Die ganz freien Mitarbeiter, deren Schicksal dieser Tage von ihren früheren Arbeitgebern viel sagend beschwiegen wird, haben sich schon vor Monaten umorientieren müssen. Ein bekannter Popkritiker etwa arbeitet seit einiger Zeit ganz im Stoiber’schen Sinne im Billiglohnsektor und ist jetzt Kartenabreißer bei Großkonzerten und Flascheneinsammler in Freilichtbühnen.

Erste seismografische Anzeichen für den allseits geforderten Existenzgründerboom sind ebenfalls zu verzeichnen. Neuartige Wir-AGs werden bei allerlei konspirativen Treffen der vom journalistischen Kerngeschäft so plötzlich ausgegrenzten Mitarbeiter bereits in aller Stille gegründet. Eine Internetbörse für symbolisches Kapital wurde schon mal angedacht und eine Agentur für konjunkturunabhängiges Ideenmarketing locker projektiert. Das notwendige Venture-Kapital verdienen wir jetzt mit Sozialreportagen über uns selber. Diese hier reicht zum Beispiel für mindestens zwei prall gefüllte Einkaufstüten von Netto.

BODO MROZEK

Der Autor war bis vor kurzem Mitarbeiter des inzwischen eingestellten Berlinteils einer überregionalen Zeitung.

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