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Keine Landkarte für Auswege

Mit seinem Buch „Welt Um Welt“ erweist sich Jürgen Trittin als kluger Kopf. Er seziert lesenswert die globalisierten Probleme der Umwelt. Wie er als Umweltminister gegensteuern will, verrät er nicht

Trittins Lösungen für die globalen Probleme sind korrekt und politisch korrekt

von BERNHARD PÖTTER

Wenn man dieses Buch gelesen hat, bekommen Shrimps einen unangenehmen Beigeschmack. In den Neunzigerjahren hat sich der Garnelenkonsum in den Ländern des Nordens verdreifacht. Die lukrative Zucht der Tiere hat die Mangrovenwälder an den Tropenküsten mit ihrem einmaligen Ökosystem zerstört, hält die Fischer vom Meer fern und verseucht das Trinkwasser der Menschen mit Chemikalien. „Die Konsuminteressen des Nordens und die Gewinninteressen der Oberschicht des Südens ergänzen sich gegenseitig. Sie zerstören wichtige Ökosysteme und mittelfristig die Grundlage der eigenen Produktion.“

Das schreibt der grüne Umweltminister Jürgen Trittin in seinem Buch „Welt Um Welt“. Kurz vor der Bundestagswahl, kurz vor dem UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung. Das Buch kommt zur rechten Zeit, das Thema ist so drängend wie immer, aber die Aufmerksamkeit für globale Fragen von Umwelt und Gerechtigkeit ist seit den Protesten der Globalisierungskritiker enorm gestiegen. Trittins Buch trägt dazu bei, die Kritik mit Blick auf die Umwelt zu formulieren. Es ist stark bei der Darstellung der Probleme, ihrer Bedingungen und Verflechtungen. Es formuliert und wiederholt Ideen, wie man diese Entwicklung stoppen könnte – aber es enttäuscht jene, die sich von einem Bundesumweltminister konkrete Fahrpläne zum Gegensteuern erwarten.

Jürgen Trittin verschont die LeserInnen mit romantischen oder insiderischen Rückblicken auf seine turbulenten vier Jahre im Amt. Wer auf Details hofft nach dem Muster „Wie das mit den AKW-Betreibern beim Atomausstieg wirklich lief …“ oder „Als der Kanzler mich einmal wirklich feuern wollte …“, der wird enttäuscht. Größtenteils entgeht Trittin auch der Versuchung, seine insgesamt erfolgreiche Arbeit als Minister mit übermäßigem Eigenlob zu bedenken. Im Gegensatz zu seinem öffentlichen Image als grünes Rumpelstilzchen und abgehobener Politstratege nimmt das Buch uns an die Hand und erklärt uns, was in der globalisierten Welt schief läuft – und zwar so, dass wir es verstehen. Mit „Welt Um Welt“ belegt Trittin, dass er ein kluger Kopf ist, der die richtigen Fragen stellt.

So ist das erste Kapitel „Der Status quo“ eine lesenswerte und lehrreiche Zusammenfassung der globalen Probleme auf den Gebieten Wirtschaft, Umwelt und Soziales. „Unterentwickelt“ ist nicht so sehr der Süden, sondern der Norden, der sein destruktives Wirtschaftsmodell der Welt aufdrängt, „überbevölkert“ ist nicht so sehr der Süden, sondern der Norden, der für seinen Lebensstil die Ressourcen verschlingt und in Gifte wie Kohlendioxid und Chemieabfall verwandelt. Unbelehrbar ist nicht so sehr der Süden, der seinen Teil vom Kuchen will, sondern der Norden, wo das Wissen um die Probleme und ihre Entstehung am größten ist, aber am wenigsten dagegen getan wird. Und gute Regierungsarbeit, „good governance“, braucht nicht nur der Süden, sondern auch der Norden: Als Beweis liefert Trittin das Beispiel der EU-Agrarsubventionen, die die südafrikanische Industrie für Dosenpfirsiche zerstörten, weil hochsubventionierte griechische EU-Pfirsiche in Südafrika billiger im Regal standen als heimische Produkte.

Für diese Probleme bietet Trittin auch Lösungen an, die er aus der Flut der Vorschläge zu diesem Thema gebündelt hat. So schlägt er vor, internationale Obergrenzen für den Ressourcenverbrauch festzulegen; eine Prüfstelle bei der UNO sollte internationale Verträge auf ökologische und soziale Verträglichkeit abklopfen; die Wirtschaftsleistung eines Landes müsste nicht am Brutto-, sondern am Ökosozialprodukt gemessen werden, das Fort- oder Rückschritt bei der nachhaltigen Entwicklung anzeigt; das UN-Umweltprogramm Unep sollte gegenüber der WTO gestärkt werden; die Wirtschaft selbst soziale und ökologische Mindeststandards einführen; Devisenspekulation und der Verbrauch globaler öffentlicher Güter wie Luft und Wasser könnten besteuert werden.

„Ja, ja, ja“, ruft der Leser überzeugt nach den ersten hundert Seiten, „aber wie, wie, wie?“ Diese Antwort bleibt Trittin seinen Lesern schuldig. Nur einen indirekten Hinweis auf die relative Machtlosigkeit des deutschen Umweltministers liefert er: Für Energie, Verkehr, Landwirtschaft sind schlicht andere Ministerien zuständig – in Bund und Ländern meist verwaltet von anderen Parteien und bestimmt von ganz anderen Interessen. Voll des ministeriellen Optimismus wehrt er sich gegen die Einsicht, dass bisher immer Erfolge bei der Effizienz durch Zunahme des Absatzes zunichte gemacht wurden: Zwar brauchen die Autos weniger Sprit, aber es fahren mehr Autos als je zuvor. Trittins Antwort: Das stimmt, aber deswegen muss es absolute Obergrenzen für den Ressourcenverbrauch geben. Als Beispiel nennt er das Kiotoprotokoll zum Klimaschutz – als wäre der Erfolg dieses Abkommen nicht gerade durch die kaum gebremste Wachstumslogik des Nordens gefährdet.

Trittins Lösungsvorschläge für die globalen Probleme sind korrekt und politisch korrekt. Doch gerade von einem rot-grünen Bundesumweltminister könnte man erwarten, dass er Wege, Tricks und Kniffe darstellt, die solche Reformpolitik möglich machen. Warum nicht am Beispiel etwa der Kerosinsteuer Ross und Reiter benennen und durchdeklinieren, wer dafür und wer dagegen ist, welche Interessen bedroht und bedient werden, wie man eine Front der Ablehnung aufbrechen könnte, wie man die eigenen Reihen stärkt, wie man öffentlichen Druck erzeugt. Diese politische Ebene der Durchsetzung von nachhaltiger Entwicklung bleibt fast völlig ausgeblendet. Trittin verbleibt bei den Win-win-Situationen, wo Umwelt, Wirtschaft und Soziales gleichzeitig profitieren und blendet die erklärten und nicht erklärten Gegner eines solchen Fortschritts fast völlig aus. Am Ende des Buches steht als ein Fazit: „Die Globalisierung ist kein blindes Schicksal. Der Raubbau an den Lebensgrundlagen dieser Welt geschieht nicht zwangsläufig. Politik kann diese Welt gestalten – der über Jahre prägende Verzicht auf Gestaltung war selber Politik. Die Globalisierung ist nicht das Ende von Politik – sie erfordert, Politik zu globalisieren.“ Darüber, wie das gehen kann und warum es so schwer ist, hätte man gern mehr erfahren.

Jürgen Trittin: „Welt Um Welt. Gerechtigkeit und Globalisierung“, 206 S., Aufbau Verlag, Berlin 2002, 14,90 €.Das Buch wird heute um 18 Uhr im Buchkaufhaus Dussmann in Berlin vorgestellt.

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