: Und kein bisschen reifer
Das Zentralorgan der linken Jugendszene, die „Jungle World“, feiert fünften Geburtstag, wettert noch immer gegen „National-Bolschewisten“ und verehrt Angela Marquardt (PDS) als Säulenheilige
von ROLAND HOFWILER
Welche Zeitung bringt schon einen Abgesang auf sich selbst – zum eigenen Jubiläum? Die Jungle World, das linke Wochenblatt aus Berlin-Kreuzberg, erlaubt Mitbegründer Jürgen Elsässer, nun Redakteur bei Konkret, in der heutigen Ausgabe alles herauszubrüllen, was ihn an den „Bellizisten“ im Blatt mittlerweile ankotzt: „Statt Diskussion gibt es Disko, schreiben darf, wer entweder den postmodernen Jargon oder die universitäre Einschüchterungsprosa beherrrscht … und beide sind sich einig darin, dass es keine Wahrheit gibt, sondern nur Political Correctness, keine Revolution, sondern nur Rave-olution.“ So spricht Elsässer, der verbissene Marxist. Er führt einen Begriff ein für das ganze Unglück, das über die Jungle World in den vergangenen fünf Jahren heraufgezogen sein soll: „Ver-taz-ung“ richte die Jungle World zu Grunde, seit sich die Blattmacher im Sommer 1997 von der kommunistischen jungen Welt, die dann zur Kampfpostille der ultralinken PDS-Fraktion mutierte, abspaltete. Welch Ehr für die taz! Und Herzlichen Glückwunsch, Jungle World!
Das Fanzine hat es schwer, politisch und wirtschaftlich. Die Fangemeinde ist winzig, das finanzielle Polster äußerst dünn. Auf Titel- und Schlussseite leistet sich die Jungle World immerhin Farbe, auf den restlichen 30 Seiten verordnet sie dem Leser eine wenig einladende Bleiwüste, aufgelockert mit je einem Schwarzweißbildchen pro Seite. Die Blattmacher beschränken sich meist auf ein exklusives Interview und auf wenige renommierte Autoren, der Rest wirkt meist lieblos zugeschrieben.
Terroristenhysterie
Fünf Jahre alt und kein bisschen reifer, so wirkt die Dschungel-Broschüre der linken Jugendszene dieses Landes in diesem heißen Sommer. Die 15 Redakteure und festangestellten Mitarbeiter packen es selten, mit mehr Detailwissen die Probleme dieser doch so ungerechten Welt zu erklären, als schon anderswo gestanden hat. Etwa beim Beispiel der jüngsten Ereignisse in Griechenland um die Zerschlagung der Balkan-RAF, genannt „17. November“, gelingt es der Jungle World – trotz eines Korrespondenten vor Ort – nicht, die derzeitige Terroristenhysterie gegen linke Andersdenkende mit einer Reportage aus Athen zu begleiten, geschweige denn geschichtliche Vergleiche zu den deutschen Ereignissen im bleiernen Herbst 1977 herzustellen. Aber das Thema zumindest zu behandeln, ist ja auch schon ein Verdienst. Im Rest der deutschen Presselandschaft – taz inklusive – kommt es völlig zu kurz.
In der marxistischen Theoriediskussion tritt die Redaktion kaum aus den Fußstapfen des Hamburger Monatsmagazins Konkret, der Nürnberger Crisis, der Frankfurter Kommune und all der anderen Minigazetten, die am Rand des Unwahrnehmbaren ein tristes Mediendasein fristen. Ausnahmen waren der 11. September mit der kontroversen Diskussion über „Faschismus im Islam“ und das weite Feld des schwelenden Antisemitismus vermengt mit „völkischen Vorstellungen“ unter Linken. Vor allem die Wandlungen eines Horst Mahlers, vom Stadtguerillero zum Neu-Nazi und Martin Walsers Werdegang vom linken Autor zum „deutschnationalen Vordenker“ sind Dauerthemen. Damit und mit ihrer Mischung aus flotter Sprache, kleinen hedonistischen Einlagen und etwas Galgenhumor, erreicht die Jungle World immerhin eine Auflage von 15.000 Exemplaren – zum Neid der Konkurrenten auf dem Kleinstzeitungsmarkt.
Für einige Antifa-Gruppen und Globalisierungsgegner ist die Jungle World Sprachrohr und Diskussionsforum schlechthin geworden. Wer wissen will, was die 18- bis 28-jährigen Politeinsteiger am gesellschaftlich linken Rand denken und fühlen, der muss jeweils mittwochs die neueste Ausgabe lesen. Nur so erfährt er, wo in diesem Sommer die antirassistischen Karawanen gerade Halt machen und Antifas und Autonome ihre Zelte aufschlagen um gegen den „alltäglichen Rassismus zu demonstrieren“. In der Rubrik „Deutsches Haus“ findet der Leser zudem eine Übersicht der schlimmsten Zwischenfälle und Ausschreitungen gegen Ausländer, jüdische Bürger oder Asylbewerber.
Es wird viel abstrakt diskutiert, allerdings wenig über das, was Linke tatsächlich tun und worin sich die Bewegung in Widersprüche verstrickt. Gut ist a priori, wer sich gegen „grüne Realpolitik“ abgrenzt und den „Nationalbolschewismus“ der kommunistischen Plattform innerhalb der PDS bekämpft. Angela Marquardt, Spitzenfunktionärin und Bundestagsabgeordnete der Ostpartei, wird dagegen fast wie eine Säulenheilige verehrt, als eine, die einfach zur antikapitalistischen Bewegung dazugehört, schon wegen ihres Outfits. Da stört auch nicht, dass die Promi-Frau in den 80ern als Mitarbeiterin der Stasi geführt wurde, was sie bislang verschwieg. Sie war ja erst 15. Im Interview erzählt Marquardt: „Ich habe mir als Jugendliche über das MfS überhaupt keine Gedanken gemacht, es war für mich etwas ganz Normales, Alltägliches.“ Wirklich? Jeder Punk vom Boxhagener Platz in Berlin-Friedrichshain, der damals jung war, wüsste anderes zu erzählen, aber er kommt im Dschungeldickicht nicht zu Wort.
Immerhin ist die Jungle World mit ihrem kleinen Häuflein Aufrichtiger, als das sich die Gemeinde sieht, ein schillernder Paradiesvogel im marxistischen Blätterwald zwischen Neuem Deutschland und Junger Welt. Ein kleiner Trost, der Einäugige unter den Blinden zu sein.
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