: Weniger Aussiedler
Rot-Grün wirbt im Wahlkampf mit einem Rückgang der Aussiedlerzahlen durch das neue Zuwanderungsgesetz
BERLIN taz ■ Die Aussiedler als Wahlkampfschlager? Sigmar Gabriel war der Erste in der SPD, der laut darüber nachdachte. Viele seiner Genossen hätten eine gewisse Scheu vor diesem Thema, klagte der niedersächsische Ministerpräsident im Frühjahr. Kaum einer traue sich, die schwierige Integration der Russlanddeutschen anzusprechen. Ein Fehler, wie Gabriel meinte.
Der Hintergedanke des sozialdemokratischen Strategen war ganz einfach: Die meisten Bürger unterscheiden nicht mehr zwischen Ausländern und Aussiedlern, beliebt ist in jedem Fall der Ruf nach einer „Reduzierung“. Also ging Gabriel in die Offensive. Rot-Grün werde die Zahl der Aussiedler minimieren, kündigte Gabriel an. Die Union dagegen lasse die größte und problematischste Gruppe der Zuwanderer „ungesteuert ins Land“.
Grund für seine Attacke: Im Streit um das Zuwanderungsgesetz sprachen die Innenpolitiker der CDU/CSU zwar dauernd von „Begrenzung“ – machten aber eine Ausnahme: Wenn es um die deutschstämmigen Spätaussiedler aus der früheren Sowjetunion ging. Da wollte die Union keiner Begrenzung zustimmen.
Also hat es Rot-Grün allein gemacht und strengere Vorschriften ins Zuwanderungsgesetz hineingeschrieben. Alle Aussiedler und ihre Angehörigen müssen ab Januar 2003 einen Sprachtest schon im Herkunftsland bestehen, bevor sie nach Deutschland kommen dürfen. Bislang reichte es, wenn der Antragsteller Deutsch sprach, seine Familie durfte so mit. Damit soll jetzt Schluss sein, und damit will die SPD im Wahlkampf punkten – ganz im Sinne Gabriels.
Was sich die Bundesregierung von der Neuregelung erhofft, machte sie in großen Zeitungsanzeigen deutlich: „Das Gesetz wird die Zahl der Zuwanderer deutlich verringern“, hieß es in der rot-grünen Werbung. „Ein großer Teil der Zuwanderer – etwa 75.000 jährlich – sind ausländische Familienangehörige von Spätaussiedlern. Ihre Zahl wird zurückgehen, weil künftig vor der Einreise ausreichende Deutschkenntnisse nachgewiesen werden müssen.“
Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Jochen Welt (SPD), drückte sich gestern etwas freundlicher aus. Ziel der neuen Vorschrift sei eine „bessere Integration“ der Aussiedler, sagte Welt bei seiner persönlichen Bilanz nach vier Jahren Rot-Grün. Schon in den vergangenen Jahren sei die Zahl der Aussiedler zurückgegangen, auf etwa 100.000 pro Jahr. Doch fast 80 Prozent von ihnen seien Angehörige ohne Deutschkenntnisse. Dies habe seit Mitte der 90er zu „massiven Problemen bei der Integration“ geführt, sagte Welt. Vor allem bei jungen Aussiedlern sei eine „ansteigende Gefährdung“ bezüglich Drogenkonsums, sozialer Auffälligkeit und Kriminalität zu beobachten. Mit mehr Geld für die Integration und einem besseren Angebot für Sprachkurse schon in Russland und Kasachstan will Welt bessere Voraussetzungen schaffen, um diese Probleme präventiv zu bekämpfen. Aber auch er weiß natürlich, worauf die Sprachtests abzielen: „Es wird eine weitere Reduzierung der Zuzugszahlen geben“, sagte Welt und fügte hinzu: „Es wird auch Menschen geben, die den Test nicht machen.“
LUKAS WALLRAFF
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen