: Weiteres regelt der Bundeshaushalt
Programm gegen Rechtsextremismus im Osten wackelt: Träger und Vereine sollen vorsorglich Mietverträge und Mitarbeitern kündigen, weil die Fortsetzung unter einer CDU-Regierung gefährdet ist. Umstellung von Bundes- auf Landesgelder ungewiss
aus Dresden MICHAEL BARTSCH
Die 317 „Civitas“-Projekte in Ostdeutschland sind verunsichert: Wird das „Civitas“-Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus nach der Wahl gestoppt?
Im Juni hatte eine Beratung in der Berliner Servicestelle des Programms für erhebliche Unruhe gesorgt. Man habe den Verantwortlichen in den Ländern vorsorglich die Kündigung der Mitarbeiter und der Miet- und Leasingverträge empfehlen müssen, erklärt Leiterin Ute Seckendorf. Im schlimmsten Fall tappten sie sonst im kommenden Jahr in eine Schuldenfalle.
Wie viele mehrjährige Programme ist auch Civitas vom Ausgang der Wahl abhängig. Im Entwurf des Bundeshaushaltes 2003 ist das Civitas-Programm sogar auf zehn Millionen Euro verdoppelt worden. Weil aber in jedem Fall dieser Haushalt vom neuen Bundestag erst Anfang des Jahres verabschiedet werden kann, hat man vorsorglich 1,4 Millionen Euro Verpflichtungsermächtigungen eingestellt.
Damit könnten die ersten drei Monate des Jahres überbrückt werden. „Wenn wir weiter regieren, ist das alles geregelt“, erklärt die parlamentarische Staatssekretärin Edith Nihues. Sie wisse aus dem Familien- und Jugendausschuss des Bundestages nur, dass auch die CDU die Projekte begrüßt habe. Rot-Grün wolle das Programm sowieso. Gerüchte, nach dem Erfurter Amoklauf sollten Gelder auf andere gewaltpräventive Programme umgelenkt werden, entbehrten jeder Grundlage.
Civitas war erst im Vorjahr als reines Bundesprogramm für Ostdeutschland aufgelegt worden und sollte auf jeden Fall bis 2005 fortgeführt werden. Sozialarbeiter und Politiker sind sich einig, dass es nur mittelfristig Sinn macht. Das Programm ruht auf drei Säulen. Mobile Beratungsteams unterstützen und vernetzen schwache oder zeitweilige örtliche Bündnisse und Vereine gegen rechts. Sie haben keine direkte „Feindberührung“, sondern vermitteln etwa in Konfliktfällen mit den lokalen Behörden. Sechs Teams sind mittlerweile unterwegs, drei davon in Sachsen. Unabhängig davon werden kleinere Menschenrechtsinitiativen auch direkt vom Programm unterstützt. Und schließlich sei auch die Beratung für Opfer rechter Gewalttaten wichtig.
Nicht nur im koordinierenden Kulturbüro Sachsen in Dresden ist man mit der seit Beginn dieses Jahres praktisch angelaufenen Arbeit sehr zufrieden. Gerade im ländlichen Raum haben es kleine Gruppen schwer gegen den schleichenden bräunlichen Mainstream in der Jugendkultur. Die Bevölkerung neige dazu, sie bei Vermeidung körperlicher Gewalt eher zu akzeptieren als „Steine schmeißende Chaoten“, berichtet Solvejg Höppner aus Wurzen. Bürgermeistern könne andererseits nicht nur Ignoranz vorgeworfen werden. Sie hätten auch Angst vor Stigmatisierung, wenn sie ein rechtsextremes Problem zugeben, weiß die Chemnitzerin Petra Zais aus Erfahrung.
Sachsens neuer Innenminister Horst Rasch hatte eine Übernahme des Programms kürzlich abgelehnt. Nach einem reichlichen halben Jahr Arbeit der mobilen Beratungsteams sei es noch zu früh, vom Freistaat Sachsen eine Mitfinanzierung zu erwarten, meint auch Brigitte Moritz aus Leipzig. Man ist schon froh, dass Rasch neben Polizei und Verfassungsschutz immerhin zivilgesellschaftliches Engagement gegen rechts würdigte. Mittelfristig aber wird kein Weg an einer regionalen finanziellen Verankerung des Programms vorbeiführen, sagt Projektleiterin Grit Hanneforth in Dresden. Eine Aufgabe für die nächste Legislatur.
Immer vorausgesetzt, eine mögliche andere Bundestagsmehrheit nach dem 22. September stimmt der Fortführung des Programms zu. Auch nach zehn Tagen Daueranfrage sah sich das Büro Katherina Reiche nur zu allgemeinsten Aussagen in der Lage. Eine Fortsetzung des Civitas-Programms für den Fall eines Unions-Wahlsieges müsse im Rahmen eines jugendpolitischen Gesamtkonzepts geklärt werden. Dazu aber sei es noch zu früh.
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