: Markenzeichen: Melancholie
Sie hat ihre Comicstrips für „Allegra“ und für die „Berliner Seiten“ der „FAZ“ gezeichnet. Jetzt gibt es von Kat Menschik ein versponnenes Nixenlexikon aus Estland, das sie neu ediert und liebevoll illustriert hat. Ein Porträt
von JANA SITTNICK
Sie malt gern kleine Gegenstände: Dosen, Flaschen, Kämme, Babyschnuller, Abhörgeräte. In ihrer Küche hängt ein riesiges selbst gemaltes Bild, das auf himmelblauem Untergrund bunte Schachteln zeigt, Aschenbecher und Likörflaschen. Kat Menschik sitzt in ihrem Küchenraum, zeigt auf die vor ihr stehende Kaffeekanne und sagt, so ein Ding könnte sie stundenlang beobachten und abzeichnen.
Für die Fingerübungen ist kaum noch Zeit. Kat Menschik gehört zu den Berliner Comiczeichnerinnen, die über das Fanzine- und Subszenenlevel hinaus bekannt sind, die als Illustratoren von ihrem Handwerk leben können. Die 34-Jährige illustriert Seiten in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der Frauenzeitschrift Allegra, der Zeit, Financial Times und Mare. „Auf der einen Seite bin ich Dienstleister“, sagt sie, „ich habe mit Redaktionen zu tun, erledige Aufträge und berücksichtige Wünsche.“ Sie arbeite schnell, meist nur mit einem Entwurf: „Was ich brauche, passt in eine Computertasche, ich kann wegfahren und auch von einer Insel aus arbeiten.“ Ein Traumjob sei das. Doch die Kunst findet woanders statt. „An Illustrationen klebt mein Herzblut nicht“, meint Menschik, „sobald ich die Sachen aus den Händen gebe, interessieren sie mich nicht mehr.“
Die Zeichnerin ist mit Frauenfiguren bekannt geworden, die melancholisch dreinblicken, wenig Kleider am Leib und viel Haar auf dem Kopf tragen, sich – natürlich! – nach Liebe sehnen, und doch auch immer wieder ironisch sind. Menschiks Comics und Cartoons sind von somnambulen, wohlgestalteten Wesen bevölkert, die wie Hybriden erscheinen – halb Mensch, halb Alien. Diese weggewehte, in die Ferne gerückte Stimmung wird wohltuend durch die Zeichenform kontrastiert: Menschik zeichnet nach der „alten Schule“, mit Bleistift und Tusche, bevor sie ihre Bilder nachträglich einscannt. Von den schwarzweiß gestrichelten Bildräumen, die an alte Holzschnitte oder Grafiken erinnern, heben sich fein ornamentierte Körper ab. „Ich habe so einen ältlichen Strich“, sagt sie, „der erinnert irgendwie an die Fünfzigerjahre.“ Sie arbeitet schnell, zeichnet eine Bildidee mit Bleistift vor, mit Tusche nach, meistens passt der erste Entwurf.
Kat Menschik hat Visuelle Kommunikation studiert, an der HdK Berlin und an der École des Arts Décoratifs in Paris. An der Seine kam sie zum Comic, brachte mit Freunden ein Fanzine heraus und gründete später in Berlin den Millionen-Verlag, der vierteljährlich A.O.C. herausgab, eine Comic-Kompilation verschiedener Berliner Zeichner. „Wir haben das an der Schule hergestellt, im Dreifarbsiebdruckverfahren,“ erinnert sich die Künstlerin, „das war eine ziemlich aufwändige Angelegenheit, so schöner Bastelkram.“ Auf der Leipziger Buchmesse 1997 konnte man mit dem Bastelkram die FAZ beeindrucken, ein wohlwollender Text über A.O.C. erschien im Feuilleton, und als die „Berliner Seiten“ im September 1999 erschienen, zeichnete Kat Menschik die ersten siebzig Folgen der täglichen Comicstrips. „Ich habe Glück gehabt“, sagt sie lapidar.
Vor kurzem ist auch ein Buch mit Illustrationen von Kat Menschik im Eichborn Verlag erschienen. Es wurde von Enn Vetemaa geschrieben, heißt „Die Nixen von Estland“. Der Autor erforscht in seinem „Bestimmungsbuch“ die Spezies Nixe, die er als real existierendes, menschenähnliches Naturwesen vorstellt, mit der Methode einer beschreibenden Najadologie (Nixenkunde). Er unterteilt seinen Gegenstand in fünf Familien, elf Gattungen und fünfzehn Arten, wie die minilesbische Heulsuse, die kinderliebe Nackttitte oder die neckische Flachsblonde. Er redet von den Begegnungen zwischen Nixe und Mensch, vom „zweckfreien“ Verführungsdrang der sinnenfreudigen Wesen, von ihren Eigenarten wie Fluchen, Kinderstehlen oder Waschversessenheit.
Kat Menschik hat den versponnenen Text als DDR-Paperbackausgabe von ihrem Freund geschenkt bekommen, mit dem Hinweis, dass sie das unbedingt illustrieren müsse. „Ich wusste, dass ich das irgendwann mal mache“, sagt sie, „doch es gab keinen Anlass.“ Im April letzten Jahres zeichnete sie dann ein letztes Mal Strips für die „Berliner Seiten“ der FAZ. Und brachte ihre Nixenversion auf Papier.
Als der Eichborn Verlag sie zu dem Buchprojekt einlud, hat Menschik die launige Fantasy-Prosa noch einmal komplett in den Computer getippt, den Autor im fernen Estland ausfindig gemacht und die Lizenzerlaubnis beschafft, das Layout konzipiert und illustriert. „Eineinhalb Jahre hat es gedauert, die 650 Zeichnungen zu stemmen“, sagt sie lachend.
Gestaltet im Stil alter Lexika, mit zwei Spalten auf der Seite und Trennungsbalken dazwischen, mit bunten Abbildungstafeln zum Ausklappen, mit dezent braunem Einband, Silberschnitt und Pappschuber, gehört die limitierte Erstausgabe des Nixenbuchs zweifelsohne zu den bibliophilen Schmankerln der von Hans Magnus Enzensberger besorgten „Anderen Bibliothek“. Kat Menschik streicht mit der Hand über den Buchrücken und sagt, dass sie sehr glücklich ist. „Mehr Buch geht nicht.“ Ihre Nixen haben Füße anstelle von Fischschwänzen, und sie schauen in die Ferne, als läge der Grund ihrer Sehnsucht außerhalb unserer Vorstellungswelt. Es kommt vor, dass Rosen aus den Brustöffnungen der Gestalten wachsen oder dass die Milch in Strömen fließt.
„Eine Freundin glaubt, dass das ein Buch für Menschen ist, die gern Sex haben“, sagt Kat Menschik. Sie glaubt an den Luxus und die „sinnliche Erfahrung“ der Lektüre. „Das ist ein Buch, das nur schön ist, das braucht ja niemand.“ Für sie selbst ist es allerdings ein Stück „Langlebigkeit“.
Kat Menschik / Enn Vetemaa: „Die Nixen von Estland“. Eichborn Verlag, Berlin 2002, 20,50 €
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