: Text am Bau
Die Bundesregierung hilft mit einem neuen Architekturgesetz arbeitslosen Journalisten
Wer in letzter Zeit durch eine Stadt wie Hamburg flaniert und gerade fertiggestellte Gebäude betrachtet, sieht sich immer öfter mit einem neuen Phänomen konfrontiert: Text am Bau. Auf Stein gedruckte Schriftsätze zieren die zuvor blanken Brandmauern. Den Kopf im Nacken kann der Betrachter zum Beispiel an einem Haus in der Brandstwiete lesen: „Die Sprache des Faust, des Knaben Wunderhorn und des Lieds vom Brunnen vor dem Tore ist zum Ziel vulgärer Beschimpfung geworden, eine neue Eskalationsstufe ist damit erreicht“, beginnt das nicht nur auf den ersten Blick wirre Essay. Doch handelt es sich nicht um eine Aktion von Kunststudenten, der Brottext erfüllt vielmehr eine wichtige Funktion: Er dient der Lebenserhaltung eines Journalisten.
Seit die angeblich schlechte Geschäftslage vieler Medienunternehmen dazu geführt hat, dass immer mehr Zeitungen und Zeitschriften Mitarbeiter „freisetzen“, wie es in der Sprache der modernen Scheckbuchverleger heißt, wimmelt es gerade in einer Medienstadt wie Hamburg von arbeitslosen Journalisten, die nicht wissen, wohin mit ihren Texten. Ein Beschäftigungsprogramm für die in Wahlzeiten wichtige Klientel muss her, meinte die Bundesregierung, die mit einem eilig durch die zuständigen Ausschüsse gepaukten Notgesetz auf die Krise der deutschen Medien reagiert hat: „Zur Unterstützung der deutschen Medienschaffenden wird ab sofort eine verpflichtende Anwendung der einprozentigen Text-am-Bau-Zweckwidmung von Bausummen öffentlicher und privater Bauaufträge installiert“, schreibt Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD) im Vorwort des Gesetzestextes. Ein Vorwort, das übrigens zum nachahmenswerten Beispiel wird. Denn Nida-Rümelins kunstvolle Sätze werden demnächst an der Wand des Berliner Kulturministeriums in Stein gehauen. Das Honorar spendet der Kulturstaatsminister dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV).
Vorbild für das „Text-am-Bau-Gesetz“ (TabaG) ist das seit Jahrzehnten gut funktionierende Gesetz zur „Kunst am Bau“, das Bauherrn die Möglichkeit gibt, ein Prozent der Bausumme in Kunst zu investieren. Bei Architekten beliebt ist diese Regelung allerdings weniger wegen der ästhetischen Resultate als vielmehr durch den finanziellen Anreiz, die investierte Summe steuerlich absetzen zu können. Die Zeugnisse sind überall in Deutschland zu besichtigen: Wild geschwungene Eisenstangen an Backsteinwänden oder schief gezogene Metallwürfel in Siedlungsparks.
Seit den Fünzigerjahren hatte die Kunst am Bau ganze Generationen mittelmäßiger Künstler durch karge Zeiten gebracht. Jetzt sollen von den Steuervergünstigungen auch die Journalisten profitieren. „Eine gute Idee“, meint Roland Wergzweiger von der Hamburger Architektenkammer: „Wir arbeiten eng mit den Journalistenverbänden zusammen und haben eine gemeinsame Kommission gebildet.“ In einem eigens eingerichteten Büro nahe des Hafens haben erste Journalisten die solide ausgestatteten Arbeitsplätze gemietet. „Computer, Internet, Nachrichtenticker, Telefon, ein Kühlschrank mit Bier und Wein, Einladungen zu Treffen mit Kollegen und Politikern – es gibt alles, was ein Journalist so braucht“, erklärt Wergzweiger.
Einige entlassene Gruner & Jahr-Redakteure sitzen hier und simulieren in der Nähe ihrer alten Wirkungsstätte den Büroalltag. Ihre Produkte jedoch landen nicht auf einer gedruckten Seite, sondern an der Wand. „Die Berater der Architektenkammer vermitteln die Texte an Bauherrn“, sagt Wergzweiger, „ganz nach Wunsch: Wer eine Auslandsnachricht am Haus haben will, bekommt dann meinetwegen eine Tickermeldung von einem Bergwerksunglück in der Ukraine. Wer sich für Bücher interessiert, kann eine Literaturrezension bestellen und so weiter.“
Nein, von den Exarbeitgebern werde man nicht unterstützt, erläutert ein ehemaliger Chef vom Dienst: „Wir sind auch ganz froh, dass wir mit denen nichts mehr zu tun haben.“ Streit, nein, Streit mit den Bauherrn gebe es selten: „Wir haben ja auch schon vorher keine kontroversen Texte geschrieben, alles sollte schön glatt sein, so machen wir jetzt einfach weiter“, meint der CvD und haut auch schon wieder geschäftig in die Computertasten, um eine Schlagzeile zu formulieren, die demnächst an der Außenmauer eines Kindergartens in Brunsbüttel zu lesen sein wird.
MICHAEL RINGEL
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