: h.g. hollein komapatientin
Die Frau, mit der ich lebe, bewegt sich nicht mehr. Allenfalls, um durch einen minimal angehobenen Zeigefinger einen eisgekühlten Zitronensaft zu ordern. Ansonsten liegt sie flach auf dem Bett und gibt vor, von der Hitze gänzlich ermattet zu sein. Offen gesagt, mir missfällt es, dass in einem abgedunkelten Zimmer unserer Wohnung ein unbekleideter Frauenkörper wie aufgebahrt herumliegt. Ich habe nichts gegen gelegentliche Anflüge von Morbidität, aber es fällt unter solchen Umständen denn doch ein wenig schwer, einem Versicherungsvertreter auf Hausbesuch zu erklären, dass die Begünstigte mitnichten schon von uns gegangen sei. Allein, die Gefährtin scheint fest entschlossen, in der kommoden Rückenlage zu verharren, komme was oder wer da wolle. Selbst Versuche gezielter, lebensinjizierender Provokationen gleiten an ihr ab. Als ich der Gefährtin einen Zettel mit den Zeilen „Hier ruht eine Edle aus dem Geschlechte derer von Schlapp und Sack“ um den großen Zeh hängte, stieg lediglich ein unwilliges Brummen aus der Dahingegossenen auf. Aber es gibt ja noch andere Möglichkeiten. Mal sehen, wie die Gefährtin reagiert, wenn ich – angetan mit Staubschutzmaske und Einweghandschuhen – an sie herantrete, in der einen Hand unser Tranchiermesser, in der anderen eine Glasschlüssel, und mit inbrünstigem Chirurgenpathos ausrufe: „Informieren Sie Euro-Transplant, wir haben einen Organspender!“ Dann weiß die Gefährtin immerhin, dass sie mich nicht umsonst jahrelang gezwungen hat, auch noch die vierzehnte Wiederholung jeder Arztserie zu gucken. Und auf jeden Fall steht sie dann wieder senkrecht im Bett.
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