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Eile, Weile, Blickkontakte

Mehr sehen als nur den Boden unter den Füßen: Zwei Tanzvorstellungen in den Transiträumen der U-Bahn

Im U-Bahnhof am Alexanderplatz kriechen fünf Menschen in Badekleidung eine Treppe hoch. Am gegenüberliegenden Ende der Passage umklammert ein Mann einen Fahrscheinautomaten. „Ist das eine Religion?“, fragt ein Passant eine BVG-Angestellte. „Nein. Kunst.“ „Wir haben eine Vorliebe für öffentliche Räume“, meint Gesine Daniels, die mit ihrer Tanzcompagnie „Somebody Else“ schon zum dritten Mal den Berliner Untergrund bespielt, liebkost und traktiert.

Nun sind U-Bahnen und Bahnhöfe nur scheinbar öffentliche Räume. Faktisch übt die BVG hier Hausrecht aus und so kommt es am Rande der Proben, während die Tänzer auf Tuchfühlung mit Böden, Wänden und Treppen gehen, zu den üblichen Interaktionen: Reiseauskunft, Fahrscheinkontrolle, Hausverbot. Aber nicht nur die Hausordnung gibt den Räumen und ihrer Nutzung eine unsichtbare Struktur vor. Auch die Architektur wirkt bisweilen disziplinierend, vor allem aber die körperliche Kommunikation aus Blicken, Gesten und Ausweichmanövern. Das U-Bahn-Netz ist ein Transitraum. Nirgendwo ist die Mischung aus Charakteren und Tageslaunen dichter, aber nirgendwo ist sie auch flüchtiger als hier. Die Inszenierungselemente von „Zoom 3“ greifen die Begebenheiten des Ortes auf und machen sichtbar, was üblicherweise ungesehen bleibt. Die Tänzerinnen und Tänzer stehen dabei nicht in Opposition zu den Räumen und der Bewegung in ihnen.

„Es geht uns um Integration“, meint Anke Vetter, die seit über zwei Jahren bei „Somebody Else“ tanzt. Die Inszenierung wolle die Kommunikationslinien verstärken, die in öffentlichen Räumen sowieso, meist jedoch unsichtbar, vorhanden sind, und ohne die solche Räume nicht funktionieren könnten. Nach begeisterten Zuschauerreaktionen bei drei Aufführungen Ende Mai wird es an diesem Wochenende eine Wiederaufnahme von „Zoom 3“ geben. Die Choreografie verbindet Elemente des zeitgenössischen Tanzes mit Kontaktimprovisation und Action Theater und wurde in Zusammenarbeit mit der Berliner „Moving Company“ erarbeitet.

Während die vier Tänzer von „Somebody Else“ mit eher abstrakten Formen arbeiten, zitiert die „Moving Company“ in ihren szenischen Bildern alltägliche Bewegungsabläufe, verfremdet oder pointiert sie und fügt der Aufführung damit eine theatralische Komponente hinzu. Obwohl das Stück eine geschlossene Struktur hat, hält es sich bewusst offen für Improvisationen. Und obwohl ihre Präsenz zunächst eine Irritation ist, gelingt es den Tänzern, einen Raum zu entspannen. Mitten in der Eile laden sie zum Verweilen ein und öffnen den Blick für die Blicke der Anderen, die plötzlich mehr sehen, als nur den Boden unter ihren Füßen. Gerade in dieser Dynamik liegt die Schönheit der Inszenierung. Ein bisschen wird jeder bloßgestellt, aber die Bloßstellung ist gegenseitig und wird mit einem Schmunzeln quittiert.

TOBIAS HERING

„Somebody Else“ und „The Moving Company“, „Zoom 3“. Am 3. und 4. 8., 19 Uhr, Beginn am Nollendorfplatz; am 6. und 7. 8., 20 Uhr, Beginn am Leopoldplatz

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