Die Angst der Opfer im Gerichtsflur

Als im Januar eine Gruppe libanesischer Frauen in einer Tram nach Hellersdorf von Neonazis misshandelt wurden, schauten viele weg. Die Opfer sind nun Zeugen und warten mit ihren Peinigern einsam vor dem Gerichtssaal

Eine Straßenbahn in Berlin-Hellersdorf nachmittags im Berufsverkehr: Es ist der 30. Januar 2002. Für eine kleine Gruppe von Libanesinnen und ein Kind wird der Tag zum Albtraum.

Vier junge Neonazis, die zusteigen, brüllen ausländerfeindliche Parolen, pöbeln die Ausländerinnen an und bespucken sie. Als die 26-jährige Nasrine C., mit einem Kopftuch bedeckt, per Handy die Polizei anrufen will, hagelt es Schläge und brutale Tritte stahlbekappter Springerstiefel. Auch ihre 46-jährige Schwiegermutter wird verletzt. Die übrigen Insassen der Straßenbahn schauen schweigend zu, ohne einzugreifen.

Ein halbes Jahr später müssen die Frauen wieder leiden. Am vergangenen Freitag begann vor einem Berliner Jugendgericht der Prozess gegen einen der Täter, der heute 18 Jahre alt ist. An diesem Montag wird der Prozess fortgesetzt. Die anderen jungen Schläger und Pöbler sind weiter auf freiem Fuß.

Seit 9 Uhr müssen Nasrine C. und ihre Verwandte als Zeuginnen auf dem Gerichtsflur ausharren, allein und nur wenige Meter entfernt von drei feixenden „Glatzköpfen“. Einer von ihnen soll die Frauen zusammen mit dem Angeklagten massiv misshandelt haben. Er ist ebenfalls als Zeuge geladen.

Nasrine C. erlitt schwere Kopfverletzungen und schwebte wegen einer vorherigen Operation in Lebensgefahr. Barbara John, Berliner Ausländerbeauftragte, hatte die junge Mutter seinerzeit im Krankenhaus besucht. Der kleine Sohn der Libanesin, der die Übergriffe miterlebte, war damals noch seelisch schwer angeschlagen.

Die Ausländerbeauftragte war entsetzt über das Leid der Frauen und ist heute noch empört, dass die Täter nach ihren Vernehmungen freigelassen wurden. „Die Opfer müssen schwer leiden. Die Täter können sich weiter vergnügen. Damit wird der Gesellschaft die Botschaft gesendet, es ist gar nicht viel passiert“, sagt John.

Bestürzt waren auch der Fahrer der Straßenbahn und ein junger Mann. Sie allein griffen ein, als die Brutalität draußen an einer Haltestelle weiterging. Der Straßenbahner hatte die Prügelei im Rückspiegel gesehen. „Da stand eine Menschentraube ohne Reaktion. Sie haben geschaut, sich umgedreht und sind weggegangen“, erinnert sich der 21-Jährige an die Gaffer.

Die Helfer sagen unisono auf dem Gerichtsflur: „Ich kann nicht zuschauen, wenn Frauen geschlagen werden.“ Die Angst kam erst später nach ihrem mutigen Eingreifen. Jetzt befürchten die Männer Übergriffe der Schläger mit den Bomberjacken.

Der 21-Jährige blickt die Bänke entlang in Richtung der geschorenen Köpfe. Ihm ist mulmig, weil der Mann, den er als brutalen Schläger erkennt, nicht hinter Schloss und Riegel sitzt.

Im Prozess gegen den damals 17-Jährigen ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Ihm werden gefährliche Körperverletzung und Volksverhetzung vorgeworfen. Vor der Polizei hatte der heute 18-Jährige Ausländerhass als Motiv genannt. Mit einer Gruppe rechtsradikaler Gesinnungsgenossen soll er auch an anderen Tagen Naziparolen gegrölt und in einem Wirtshaus randaliert haben. Erst nach einem weiteren ausländerfeindlichen Übergriff kam er in Untersuchungshaft.

Am Montag müssen auch Helfer und Opfer erneut erscheinen. Vergeblich hatten sie am vergangenen Freitag Stunde um Stunde auf ihre Vernehmung gewartet. Die Männer spürbar aufgebracht, die Libanesinnen verschüchtert. Offenbar hatte ihnen niemand gesagt, dass es wenige Meter vom Gerichtssaal einen Raum mit geschulten Zeugenbetreuern gibt.

Die Ausländerbeauftragte fordert von den Verantwortlichen im Gericht: „Es muss doch organisiert werden können, dass die Opfer vor der Verhandlung nicht mit ihren Tätern zusammenkommen und erneut Ängsten ausgesetzt sind.“

CORNELIA HEROLD, DPA