: Der kleine Tierfeind
Vom Spatzen in der Hand: Am Körnerpark haben Bauarbeiter das Gelände aufgerissen, und der heilige Franz von Neukölln spricht dort mit den Vögeln. Eine Kurzgeschichte
Der Körnerpark in Neukölln: wenig bekannt und dabei vielleicht doch der schönste kleine Park in der ganzen Stadt. Gewesen. Heute ist er eine einzige Baugrube.
Im Frühjahr hat man damit begonnen, den Brunnen zu erneuern, und zu diesem Zweck den halben Park in eine Mondlandschaft verwandelt. Kurz vor Beendigung der Arbeiten stellten die Verantwortlichen vor einem Monat fest, dass sie den falschen Beton verwendet hatten, so dass in der Folge drei Wochen lang Presslufthämmer von morgens bis abends damit beschäftigt waren, das Fundament wieder aufzureißen. Das war erstens sehr laut und sorgte deshalb für Verdruss beim Naherholung suchenden Bürger.
Zweitens ist jetzt der ganze Park eine Mondlandschaft. Komplett. Aber wenigstens still ist es geworden: Drei Bauarbeiter sitzen unfroh im Geröll herum und bewegen sich nicht. Das verströmt einerseits einen Hauch italienischer Lebensart, andererseits wirken sie einfach frustriert. Die Sinnlosigkeit ihres Tuns hat sie offensichtlich gelähmt und das ist gut: Bauarbeiter, die sich nicht bewegen, machen keinen Krach und ein Bauarbeiter, der traurig ist, schreit nicht – das sagt schon das Sprichwort. So kann ich wenigstens vor der wie durch ein Wunder verschont gebliebenen Orangerie in Ruhe einen Kaffee trinken, einen Latte Dingenskirchen. Dazu gibt es frischen Apfelkuchen.
Vorwitzig hüpfen zwei Spatzen um mich herum. Der eine von ihnen ist besonders keck: Bis auf wenige Zentimeter hüpft er zum Tellerrand und dann wieder weg. Wie drollig! Klug sieht er aus mit seinen runden Äuglein, dem dunkelbraun abgesetzten Schöpfchen, das von weitem wirkt wie ein Fassonschnitt, mit seinem kompakten kleinen Schnäbelchen. Wie gerne möchte er einen Krümel von dem süßen Gebäck erhaschen. Ich ziehe den Teller ganz zu mir her – so nah heran wagt er sich nicht. Immerhin habe ich den Kuchen bezahlt.
Dann lege ich aber doch eine Krume in meine offene Handfläche und strecke die Hand aus. Ganz vorsichtig, um ihn nicht zu veränstigen. Er hüpft näher und dann doch, wie über seine eigene Kühnheit erschrocken, wieder weg. „Na, kleiner Spatz – hast du Hunger?“, spreche ich mit sanfter Stimme: Ich möchte, dass er mir aus der Hand frisst. Wie einst dem heiligen Franz von Assisi.
Er kommt wieder näher. Dreht erneut das Köpfchen. Hüpft weg. Kehrt zurück und sitzt mir schließlich auf der Hand. Niedlich. Pickt nach dem Krümel. Zutraulich. Die Hand schließt sich zur Faust. Ein kurzes Piepen, ein helles Knacken und schon hängt das leblose Körperchen schlaff in der Hand. Ich habe den Kuchen bezahlt. Wer zahlt, bestimmt die Musik.
Mit der Serviette wische ich mir gründlich den Vogelschiss und die Innereien von den Fingern und lecke sie dann noch mal ab: Ich bin ein Freund von Lebensart. Der andere Spatz ist weggeflogen: Wahrscheinlich sucht er sein Futter woanders.
ULI HANNEMANN
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