: Die Blasen der Spekulation
Ein verzweifeltes und dramatisches, irgendwie aber auch virtuelles Spiel mit tragischen Folgen, und vielleicht sogar ein lehrreiches: Die Regisseurinnen Chris Hegedus und Jehane Noujaim dokumentieren in ihrem Film „Startup.com“ den Aufstieg und Fall eines Internetunternehmens der New Economy
von MADELEINE BERNSTORFF
Gedreht wurde „Startup.com“ zu einer Zeit, als auch hierzulande in völlig normalen Kneipen vom Nebentisch immer wieder das Wort Infineon zu hören war und als jeder Brühwürfel sich auf seinen Börsengang vorbereitete. In Deutschland wird dieser Film aus der berühmten Direct Cinema Produktion von Pennebaker wiederum von einem eBusiness-Netzwerk namens FoundersUnited AG verliehen. Das Dotcom-Drama soll nun zum Nachdenken auffordern: „Startup.com […] hält uns, den GründerInnen, Investoren, Bankern und Beratern, den Spiegel vor.“
Ein Nasdaq-Schiffbruch: die dazugehörige Mimik, Gestik und Emotionen werden dokumentiert. 400 Stunden Material, mehr als 25 verschiedene Schnittversionen gab es, sagt Pennebaker. Die Regisseurinnen Chris Hegedus und Jehane Noujaim begleiten Kaleil Isaza Tuzman mit seiner Babyface-Bravour und dessen Freund, den Technikfreak Tom Herman, beim Start in die goldene Zukunft eines Unternehmens. Die beiden gründen die Firma GovWorks.com, die als Internet-Dienstleistungsportal den US-amerikanischen Bürgerinnen und Bürgern die lästigen Behördengänge zu den örtlichen Regierungsstellen erleichtern und ersparen soll – letztendlich reduziert sich das ganz banal auf Strafzettelbezahlen online. Die Gründer mit Potenzial sind gerade mal Ende zwanzig und müssen nun Kapital anhäufen, sie wagen einen Vorstoß nach Silicon Valley – wo sie jedoch schnöde abblitzen –, kabbeln sich auch mal darüber, wie Verhandlungen zu führen sind, und peppen ihre Körper im Fitness-Studio auf. Schnell steigen auch die Medien, die Börsennachrichten ohnehin für die weltbewegendsten Informationen halten, auf den Hype ein, loben das neue Unternehmen und verkaufen mit.
Die kleine Firma wächst, die aus Microsoft-Seminaren bekannten Teamgesänge werden einstudiert, die Angestellten singen und agieren im Einpeitsch- und Anfeuerungsritual: „Are You Ready …?“ – allerdings unterbindet der Chef das Hochrecken der rechten Faust, das „Naziparty“-Symbol ist unangebracht. Teamansprachen dienen der Motivations- und Flexibilitätssteigerung. Auch das Corporate-Identity-Summercamp im Stangenwald mit gemeinsamer Meditation darf nicht fehlen. Die Arbeitsverhältnisse der mittlerweile 70 Angestellten sind jedoch nicht der Fokus des Films, die durch dünne Gipswände voneinander abgetrennten Arbeitsplätze sprechen für sich.
Während des ganzen Films wird man den Eindruck nicht los, die beiden Gründer spielen ein verzweifeltes und dramatisches, irgendwie aber auch virtuelles Spiel mit tragischen Folgen. Die Freundin des Firmengründers möchte unbedingt einen Hund – wenn sie schon nicht Kaleils Zuwendung bekommt. Beim Gespräch mit der vernachlässigten Freundin ist die Kamera extrem nah dran, es stellt sich das Gefühl ein, sie sitzt mit im Bett.
Das Turbokapitalismus-Melodram nimmt nun seinen Lauf. Kurz nach dem Treffen mit einem Konkurrenten wird in der Firma eingebrochen, wichtige Firmengeheimnisse werden entwendet, es sieht nach Sabotage aus. Die Internetseite funktioniert nicht richtig, die Suchfunktion produziert Unsinn. Das Börsendrama vom 14. April 2000 geht auch nicht spurlos vorüber, die Investoren werden nervös. Kaleil drängt seinen Kompagnon Tom aus der Firma, er gibt ihm die Schuld an den technischen Hängern der Seite. Tom wird mit Security aus der Firma eskortiert. Im Mai 2000 hat die Firma zwar 233 Angestellte, aber die Neue Welt ist böse geworden, Ende des Jahres sind es dann nur noch 50 Angestellte. 2001 wird GovWorks.com aufgekauft.
„Unsere Aufgabe ist es, aus dem Film die notwendigen und entscheidenden Lehren zu ziehen“, sagt die Founders United AG.
„Startup.com“, R: Chris Hegedus, Jehane Noujaim, USA 2001, 107 min, im fsk, Segitzdamm 2, tgl 23 Uhr
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