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berliner szenen Venedig in Berlin

Taubenzauber

Ich sitze im Monbijoupark und denke an Venedig. Eine Taube läuft über die dunklen Platten, sie gurrt. Als ich ein kleiner Junge war und aussah wie ein anderer, mit langen blonden Haaren, waren die Tauben meine Zaubervögel. In Latzhosen sprang ich diesen geheimnisvollen Geschöpfen mit den feinen, schillernden Federn auf dem Markusplatz hinterher. Mein größter Wunsch war, eine Taube zu fangen, dem Unerreichbaren näher zu sein. Hat natürlich nicht geklappt. Tauben kann niemand besitzen.

Das einzige Ergebnis ist ein Foto von einem tapsig rennenden Jungen und davoneilenden Tauben vor schönster Venedigkulisse. Das Bild hängt im Zimmer meiner Mutter. Ich werde traurig und bekomme Heimweh.

Die Taube im Monbijoupark stakst auf ihren zarten rosa Füßen auf und ab. Mir wird ganz schlecht und ich fange gleich an zu weinen. Zum Glück ist da noch die Tüte Pommes in meiner Hand. Manchmal hilft Essen ja gegen Traurigkeit. Mein Magen wird dann auch gleich ein bisschen wärmer. Gedankenlos lasse ich eine grün schimmernde Kartoffel auf den Boden fallen. Sofort stürzt sich die Taube auf den Brocken, der viel zu groß für ihren Schnabel ist. Plötzlich sind ganz viele Tauben da. Sie kämpfen um das fettige Stück Kartoffel, das doch Gift für einen Taubenmagen sein muss. Die Worte eines Freundes, der von „fliegenden Ratten“ sprach, und die von Taubenkot überzogenen Simse an der Schule tauchen in meinem Gedächtnis auf. Das Edle verschwindet. Warum müssen Taubenmassen Menschenmassen nur so ähnlich sein? Ich stehe auf und laufe weg. Zu Hause rufe ich meine Mutter an und bitte sie, mir das Venedigbild zu schicken. Der Zauber der Tauben ist zu wichtig, um ihn an die Realität zu verlieren. HENNING KOBER

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