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Keiner nimmt den Buß

Der Hochspringer und Weltmeister von Edmonton, Martin Buß, der bei den Europameisterschaften mit übersprungenen 2,25 Meter nur Siebter wurde, verzichtet in seinem Leben auf Extravaganzen – und die Sponsoren deshalb auf ihn

aus München FRANK KETTERER

Der lange Kerl stand da wie der Ritter von der traurigen Gestalt. Die Schultern hingen tief, beinahe auf halbmast, die Augen schienen matt, und passend zu dieser traurigen Erscheinung sagte der Hochspringer Martin Buß mit leiser Stimme Sätze, die bis an den Rand angefüllt waren mit Enttäuschung. Sätze wie diesen: „Ich habe eine schlechte Saison gehabt mit Verletzung und schlechten Sprüngen.“ Oder dieser: „Mir fehlt deshalb einfach die Sicherheit.“ Und schließlich der: „Es ist doch irgendwie logisch, dass das hier nichts werden kann, wenn man die ganze Zeit nur bei 2,20 m bis 2,25 m rumspringt.“

Genau so war’s dann auch bei der Leichtathletik-EM: Bei überquerten 2,25 m war auch in München Schicht für den Hochspringer aus Berlin, auf Rang sieben. Der Titel ging mit 2,31 m an den Russen Jaroslav Rybakov. Buß kann als amtierender Weltmeister nicht zufrieden sein. Es ist eher ein trauriges Ergebnis.

Und doch ist es auch passend für den langen Kerl, dem selbst sein größter sportlicher Triumph im Nachhinein zur Enttäuschung geraten ist. Bei der WM im letzten Jahr im kanadischen Edmonton schwang sich der 1,95-Schlacks locker über 2,36 Meter hinweg und gewann überraschend den Titel, anschließend wäre er gern dazu bereit gewesen, aus seiner Springerei auch ein bisschen ein Geschäft zu machen.

„Ich habe gedacht: Jetzt bis du Weltmeister, jetzt rennen dir die Leute die Türe ein.“ An ein paar Ideen, für was er werben könnte, mangelte es dem 26-Jährigen nicht: „Autos, Ernährung, Kleidung – ich habe mir alles vorstellen können.“ Geworden ist es am Ende nichts. Kein Mensch rief an.

Aus dem strahlenden Überraschungsweltmeister Martin Buß, der sich „von null auf Gold“ katapultiert hatte (Bild), wurde binnen weniger Monate „der vergessene Weltmeister“ (Stuttgarter Nachrichten). „Der Titel hat sich in Luft und Rauch aufgelöst“, formuliert es der Berliner. Irgendwie hatte die Öffentlichkeit ihn und seine Kunst nur am Rande wahrgenommen und auch gleich wieder vergessen. Bereits bei den diversen Sportlerwahlen am Ende des Jahres endete Martin Buß ausschließlich unter ferner liefen, hinter so manchem Sportskameraden, der es keineswegs zum Weltmeister gebracht hatte.

„Die reine Leistung zählt heute nichts mehr“, nennt Buß die für ihn durchaus bittere Erkenntnis, die er daraus gewonnen hat, zumindest ist die Leistung längst nicht mehr alleine Ausschlag gebend, ob einer ankommt beim Publikum oder nicht. „Das ist sehr stark eine Typsache“, glaubt Buß-Kollege Ingo Schultz, seit Donnerstag nach 45,14 Sekunden Europameister über 400 m. Vor einem Jahr in Edmonton hatte er mit dem Gewinn der Silbermedaille einen ähnlich unverhofften Erfolg wie Buß. Nur dass bei ihm die Tür danach unablässig eingerannt wurde. „Es ist richtig über mich hereingebrochen. Es gab Anfragen ohne Ende“, berichtet Schultz, der ganz offenbar der Typ ist, der ankommt bei den Leuten: Fast zwei Meter groß, smart, ein netter, gut aussehender Kerl eben, der sich jetzt auch noch eine nette, gut aussehnde Schwimmerin als Freundin geangelt hat. Daraus lässt sich was machen von den Medien. Die haben Schultz zur Lichtgestalt der deutschen Leichtathletik gemacht.

Martin Buß ist zwar auch ein großer Kerl, aber er hat Beine so dünn wie ein Storch, Hochspringerbeine eben, ein hageres Gesicht und mittendrin auch noch ein Hakennase.

Buß ist einfach ein Durchschnittstyp, noch dazu ein wenig spröde in seiner Art. Und auf Wettkämpfen taucht er nicht selten mit Frau und seinen beiden Söhnen Jannik und Dominik auf. Die Familie Buß ist eine ganz gewöhnliche, nette Familie, in der der Papa halt hochspringt. Das ist nicht der Stoff, aus dem Geschichten gestrickt werden. Es ist viel zu normal, manche sagen langweilig.

„Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man nicht in der Zeitung steht“, weiß Martin Buß. Er, der Weltmeister, ist seit seinem Titelgewinn nicht oft in der Zeitung gestanden. Warum auch? Er ist doch so normal. „Vielleicht hätte ich einfach mal meine Frau schlagen sollen“, sagt der 26-Jährige mit sarkastischem Unterton. Wahrscheinlich hätte man sich dann in der Tat etwas mehr für ihn interessiert, vielleicht hätte es sogar für die ein oder andere Schlagzeile gereicht. „Aber auf eine solche Schiene komme ich nicht“, schiebt Buß nach – und das nicht nur, weil er seine Frau liebt.

Die Idee, ein wenig Schauspielunterricht zu nehmen, um den Medien ein bisschen was vorspielen zu können, einen coolen, lockeren Typen zum Beispiel, hat er verworfen. „Wenn ich nur normal bin, dann ist das eben so“, sagt Buß. Diese Einstellung ehrt den Hochsprung-Weltmeister. Sponsoren hat sie ihm nicht gebracht.

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