: Operation Wüstensturm
Von Rommels Geliebten zum „englischen Patienten“: Die Figur des Wüstenforschers und Abenteurers Ladislaus E. Almásy hat zahlreiche Umschreibungen erfahren. Walter Grond dekonstruiert in seinem neuen Roman „Almásy“ diesen Heldenmythos
von MARCUS HAMMERSCHMITT
Der Spion Ladislaus E. Almásy gehört zu den schillerndsten Figuren des Zweiten Weltkriegs. 1895 wurde er auf Schloss Bernstein im Burgenland geboren, das damals zu Ungarn gehörte. Almásy zeigte früh eine große Begabung für Sprachen sowie ein hohes Interesse an den neuesten Errungenschaften der Technik: Autos und Flugzeugen. Aber bei Almásy verband sich das Interesse an der technischen Seite der Moderne stets mit politischer Rückwärtsgewandheit: 1921 fiel er das erste Mal öffentlich auf, als er als Chauffeur Exkaiser Karls I. einen monarchistischen Putschversuch unterstützte.
Anschließend verlagerten sich seine Interessen auf die Erforschung von Wüstenlandschaften. Ab 1926 rüstete er immer wieder Expeditionen in bis dahin unzugängliche Teile der Sahara aus. Almásy suchte und fand die mythische Oase Zarzura und steckte eine enorme Energie in die Auffindung der Armee des persischen Königs Kambyses II., die 520 v. Chr. bei einem Feldzug in der Wüste verschollen war.
Im Jahre 1940 stellte er das auf seinen Expeditionen gewonnene geografische und kartografische Wissen in den Dienst der Nazis – und wurde obendrein zum Liebhaber Erwin Rommels, des Führer des deutschen Afrikakorps. Almásy agierte in deutschem Auftrag für die italienische Spezialeinheit „Auto Compagnia Sahara“, einer Eindienst des Geheimdienstes, die sich mit der britischen „Long Range Desert Group“ in der Wüste Scharmützel lieferte. Almásys Bravourstück: die „Operation Salam“ von 1942, bei der er zwei deutsche Agenten durch eine riskante Wüstenfahrt hinter die englischen Linien schmuggelte. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet und verfasste 1943 ein Buch, in dem er den Mythos von der Unbesiegbarkeit der Wehrmacht zu festigen versuchte: „Mit Rommels Armee in Libyen“.
Nach dem Krieg wurde Almásy von den Sowjets wegen seiner Kollaboration mit den Nazis inhaftiert, kam aber aufgrund der Fürsprache einflussreicher Kreise bald wieder frei. Bis 1949 noch versuchte er weitere Expeditionen in die Wüste auf die Beine zu stellen, 1951 starb er in Salzburg.
Das Leben Almásys lässt Platz für Spekulationen, und Anfang der Neunzigerjahre, als nach dem Fall des Eisernen Vorhangs das historische Unterholz des Zweiten Weltkriegs unter einem entpolitisierten und gewissermaßen privateren Blickwinkel durchforstet wurde, erlebte Ladislaus E. Almásy ein Revival.
Den Anfang machte Michael Ondaatje mit seinem 1992 erschienenen Roman „Der englische Patient“. Er benutzte das historische Material, um eine ganz eigene Version der Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs zu erzählen. Bei Ondaatje ist Almásy der „englische Patient“, ein Pilot zunächst unbestimmter Herkunft, der in der Wüste brennend abstürzt, von Beduinen gerettet wird und jetzt, man weiß nicht recht, wieso, von Hana, einer zwanzigjährigen Krankenschwester in einer zerbombten toskanischen Villa gepflegt wird. Während der Zeit, die die beiden miteinander und mit zwei anderen Gästen der Villa verbringen, wird die Identität des Verwundeten enthüllt, zusammen mit einer hochtragischen Romanze, die den „englischen Patienten“ vor allem als leidenschaftlichen Liebenden darstellt.
Ondaatje widmet sich mit Hingabe der Aufgabe, Almásy aus seinem geschichtlichen Hintergrund zu lösen und ihn in den Status eines romantischen Helden zu erheben. Um diesen Effekt zu erzielen, mussten einige Begleitumstände seines Leben verändert werden, zum Beispiel die Tatsache, dass Almásy homosexuell war: Die Affären, die der „englische Patient“ mit verschiedenen Frauen hatte, ergeben den Spannungsbogen in Ondaatjes Roman – und auch die erotische Spannung zwischen ihm und seiner Pflegerin hatte diese Änderung der sexuellen Präferenzen Almásys zur Bedingung. Entscheidend war jedoch, dass Ondaatje zum Opfer stilisiert wurde. Almásy war nun nicht mehr der Spion im Dienste der Nazis und der Geliebte Rommels, sondern ein tragischer Held, der durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs um die Liebe seines Lebens gebracht wurde.
Die historische Figur Almásy und ihre politischen Verwicklungen werden so im „Englischen Patienten“ in postmoderne Unbestimmtheiten aufgelöst: „Was wussten denn die meisten von uns über solche Gegenden in Afrika? Die Heere am Nil rückten vor und zurück – ein Schlachtfeld, eintausenddreihundert Kilometer wüsteneinwärts. […] Aber wer war der Feind? Wer waren die Verbündeten auf diesem Schauplatz?“ – Was zählt, ist Stimmung, Atmosphäre und Poesie, die Verbindung des verbrannten Fliegers mit dem Mythos Wüste und dem schweren Atem des Tragischen. Einige Charaktere seines Romans beruhten zwar auf historischen Persönlichkeiten, erklärte Ondaatje in seinem Nachwort, er aber als Romanautor habe das Recht, die Geschichte zu erzählen, die ihm gefalle.
Der Erfolg gab dem Autor Recht. Ein Held war geboren, und die Filmindustrie ließ nicht lange auf sich warten. Ralph Fiennes und Juliet Binoche spielten die Hauptrollen in der Verfilmung des „Englischen Patienten“ und verankerten das Bild Almásys als tragische Heldengestalt im Bewusstsein des Massenpublikums: neun Oscars, weltweiter Kassenerfolg, alles bestens.
Peinlicherweise lebten jedoch noch einige Menschen, die sich an den wirklichen Almásy erinnern konnten, und sie meldeten sich auch zu Wort. Darunter war auch Elizabeth Salett, die zu Almásys Zeiten als Tochter des ungarischen Generalkonsuls in Ägypten lebte und ihre Erinnerungen für die Washington Post niederschrieb. Unter anderem kam in ihrem Artikel zur Sprache, dass Almásy in den Diensten Rommels eine schwarze Liste derjenigen bei sich geführt hatte, die im Falle eines Sieges der Wehrmacht als Erste in Ägypten hätten verhaftet werden sollen – auch der Name ihres Vaters gehörte dazu. Elizabeth Salett setzte eine Debatte über die Geschichtstreue von Ondaatjes Roman und seiner Filmadaption in Gang, die allerdings nur erreichte, dass einige begeisterte Kinogänger sich darüber wunderten, dass Almásy dem Schauspieler Ralph Fiennes nicht wirklich ähnlich sieht.
Der Erfolg des „Englischen Patienten“ zog Folgeprodukte nach sich. Dazu gehörte auch eine Neuauflage von Almásys Schriften. Der österreichische Haymon-Verlag brachte 1997 Almásys „Unbekannte Sahara“ als „Schwimmer in der Wüste“ neu heraus. Das ist spannend zu lesen, noch spannender als der Text selbst sind aber die editorischen Anmerkungen des Herausgebers Michael Forcher. Er reagiert auf die wachsende Kritik am Kult um den „englischen Patienten“, auch indem er dem Band das Tagebuch über die „Operation Salam“ hinzufügt. Gleichzeitig betreibt er aber die Arbeit am Mythos auf höheren Niveau. So werden zum Beispiel rassistische Bemerkungen Hansjoachim von der Esch angelastet, einem deutschen Freund aus Vorkriegstagen, der angeblich die Schriften Almásys für den Druck in Nazideutschland frisiert habe.
Wie in Ondaatjes Roman wird die Biografie Almásys so zu einem Setzkasten spannender Anekdoten umorganisiert. „Die Wahrheit“ ist dabei den Herausgebern „nichts als nur eine Geschichte“.
Es ist erfreulich, dass im Haymon-Verlag nun doch noch eine Geschichte über Ladislaus E. Almásy erzählt wird: in Walter Gronds gerade erschienenen Roman „Almásy“. Die Handlung des klug gebauten Buchs: Nicolas, der Wiener Produktmanager eines österreichischen Autounternehmens, soll in Ägypten die Neueinführung eines Geländewagens namens „Almásy“ leiten. Was er zunächst nur als professionelle Herausforderung begreift, entwickelt sich zur harten Konfrontation mit einer fremden Welt, in der unbekannte Spielregeln gelten: Unversehens steckt Nicolas knietief in alten Geschichten, die nicht nur mit den alten politischen Allianzen Almásys zu tun haben, sondern bis zum Feldzug des Kambyses zurückreichen, nach dessen Überresten der spätere Spion einst in der Sahara gesucht hatte. Nicolas gerät in Schwierigkeiten mit ägyptischen Muslimen und muss schließlich am Ende mit einem ehemaligen Freund Almásys fluchtartig das Land verlassen.
Interessant ist, dass Walter Grond dieses Setting eben nicht dazu benutzt, einfach nur eine spannende Geschichten zu erzählen, sondern um den Mythos Almásy zu dekonstruieren: In einer gewagten Form von Intertextualität lässt er Hana, die Krankenschwester aus Ondaatjes Roman, als alte Frau im Kairo der Jahrtausendwende auftauchen und korrigiert ausgerechnet von diesem Punkt aus die Umdeutungen, die in „Der englische Patient“ vorgenommen wurden: Die historische Figur Almásy wird mit ihrer medialen Aufbereitung abgeglichen. Den Anstoß zu seinem kritischen Verfahren beschreibt Grond in seiner „Nachbemerkung“ so: „Ich las den Roman ‚Der englische Patient‘ von Michael Ondaatje mit großer Bewunderung ob seiner Modernität, seiner Konstruktion und Sprache. Gleichwohl schien er mir die Welt jener aristokratischen Wüstenfanatiker rund um Ladislaus E. Almásy allzu vereinfacht oder gar entstellt wiederzugeben. Sie lässt sich nicht auf eine noch so rührende Liebesgeschichte reduzieren!“ Das verrät viel Respekt für den Vorgänger, verbirgt aber kaum den Angriff auf Ondaatje und die anderen Bearbeiter des Falles „Almásy“. So scheint es, dass das Revival rund um den Spion, das vor zehn Jahren begonnen hat, nun zu einem Punkt führt, an dem die historische Figur wieder in ihren historischen und aktuellen Bezügen diskutiert wird. Dass Walter Gronds Entzauberung und Neubearbeitung des Mythos einen gut lesbaren Roman ergibt, ist zudem bemerkenswert.
Walter Grond: „Almásy“. Haymon, Innsbruck 2002. 317 Seiten, 22 €ĽLadislaus E. Almásy: „Schwimmer in der Wüste. Auf der Suche nach der Oase Zarzura“. dtv, München 1998, 256 Seiten,10 €ĽMichael Ondaatje: „Der englische Patient“, dtv, München 1996, 327 Seiten. 8,50 €
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