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Eine Fuzo namens „Bürger“

Bremerhaven hat eine neue Fußgängerzone: Die Bürgermeister-Smidt-Straße glänzt als prächtige Flaniermeile. Die Bauarbeiten brachten jedoch kleine Geschäfte um die Existenz

Chinesischer Basalt, zu den Glasarkaden hin läuft der Flaneur auf gelbem Granit

Im Schatten der Großen Kirche flanieren sommerlich gekleidete Passanten über die Piazza, unter Sonnenschirmen genießen Müßiggänger die manchmal sogar sommerlichen Temperaturen. Kinder planschen in dem mit Skulpturen geschmückten Brunnen, während ihre Eltern den breiten, von Bäumen gesäumten Boulevard entlangschlendern.

„Sehen und gesehen werden“ könnte die Szene heißen, doch nicht von Nizza, London oder Mailand ist hier die Rede. Sondern von der neuen Bremerhavener Fußgängerzone. Auf 900 Metern wurde die Bürgermeister-Smidt-Straße, kurz „Bürger“, in den letzten zwei Jahren renoviert – am Freitag war die Neugestaltung offiziell abgeschlossen. „Etwa 30 Millionen Euro hat der Umbau der Straße und der Plätze gekostet“, weiß Michael Gerber, Stadtentwicklungschef bei der Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH (BIS). Aus Pflastersteinen und Teer wurde gelber Granit, Siebziger-Jahre-Arkaden wichen hellen Glasdächern, Brunnen und Wasserspiele säumen den Weg des Passanten. Die Stadt Bremerhaven und das Land Bremen haben das Projekt finanziert, lediglich an der Installierung der Glasarkaden waren einige Hausbesitzer beteiligt.

Bescheiden ist die neue „Bürger“ indes nicht. Einen Prachtboulevard haben sich die Bremerhavener da geleistet, chinesischer Basalt deckt die Straßenmitte, zu den Glasarkaden hin läuft der Flaneur auf gelbem Granit. Mit einem seichten Anstieg statt eines kantigen Bürgersteigs, versteht sich – damit auch Kinderwagen und Rollstühle den Höhenunterschied bewältigen können. Inmitten des Kirchplatzes prangt der „Werftbrunnen“ des Worpsweder Künstlers Waldemar Otto. Im fließenden Wasser rackern drei metallene Werftarbeiter im Ensemble mit den drei Columbushochhäusern, die hinter den Dächern der „Bürger“ aufragen.

Die Geschäftsleute sind mit dem neuen Look zufrieden: „Seit die Straße renoviert wurde“, freut sich Norbert Reinhard, Financier des ‚Zentrum am Kirchplatz‘, „kommen viel mehr Kunden.“ Einige Geschäfte können von diesem Boom allerdings nicht mehr profitieren: „Während der zweijährigen Bauarbeiten sind einige Betriebe pleite gegangen“, sagt Reinhard. Vor allem „Einzelkämpfer“ wie kleinere Modegeschäfte oder Blumenläden hätten den Umsatzeinbußen durch die Bauarbeiten direkt vor der Tür nicht standgehalten.

Der Verschmutzung dagegen hält selbst der edle Belag aus Granit und Basalt nicht stand. Schon nach wenigen Wochen hat sich wieder das altbekannte Muster aus grauschwarzen Kaugummifladen gebildet, bevorzugt vor Restauranteingängen. Von einer „Kaugummipolizei“ hält Stadtplaner Gerber aber wenig. Er meint: „Unser Feuchtreinigungssystem wird die „Bürger“ sauber halten.“ Ständige Reinigung schade den Steinen nicht. Wenigstens bei Nacht fallen solche Schönheitsfehler kaum mehr auf. Was nicht heißt, dass der neue Boulevard bei Dunkelheit keine gute Figur machte. Wie ein moderner Triumphbogen bilden zwei azurblaue Leuchtstelen den Eingang zur „Bürger“, „bei Nacht zieht sich ein blau glimmendes Band entlang der Glasarkaden“, so BIS-Mann Gerber. Auch die Große Kirche und das Staatstheater würden dann beleuchtet.

Eines scheint der neuen Prachtstraße allerdings zu fehlen – meint jedenfalls Jens Volkmann vom Verkehrsclub Deutschland: „Dass Radfahrer und öffentlicher Nahverkehr ausgeschlossen werden, ist skandalös.“ Das findet auch der Bremerhavener Hans-Joachim Müller-Hanssen: „Die „Bürger“ ist durch den Umbau erheblich aufgewertet, es sollte aber eine Straßenbahn durchfahren.“ Darüber schmunzelt Gerber nur: „Damit würde die gesamte bisherige Konzeption auf den Kopf gestellt.“ Zumal durch die alte „Bürger“ doch ein Schienenpaar lief – ungenutzt.

Sebastian Kretz

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