: Der Sommer des Chamäleons
Der taz-Sommerroman. Über den heißesten Fall des unglaublich furchteinflößenden Privatdetektivs John Player. Von Tim Ingold. Vierter Teil
Was bisher geschah: Chamäleon Rama futschikato +++ Besitzerin Ilse traurig +++ John Player sucht Rama +++ Chamäleondieb von Polente verhaftet +++ Hühnersuppe macht schlau +++ Player will Dieb im Knast besuchen +++ Telegrammstil ist toll
Irmhild, die feurige Justizvollzugsanstaltsbeamte. Schwitzige Nächte voller schwüler Schweinereien lagen hinter uns. Die Kleine war verrückt nach mir, und ich kam mir fast ein wenig schäbig vor, dass ich ihre Zuneigung benutzen würde, um von ihr den Aufenthaltsort des Gauners zu erfahren. Aber es gab keinen anderen Weg. Ich wählte. Es bimmelte. „Justizvollzugsanstalt, Irmhild am Apparat, was kann ich für Sie tun?“ –„Hallo Kleine.“ – „John?“ – „Das ist mein Name, baby. Nutz’ ihn nicht ab.“ – „Was fällt Dir ein, mich anzurufen? Du dämliches Arschloch hast vielleicht Nerven! Nach allem, was du mir angetan hast!“ – „Äh? Wovon sprichst Du?“ – „Wovon ich spreche? Ich spreche von der ekelhaftesten, erniedrigendsten Nacht meines Lebens!“ – „Wie jetzt? Mit mir?“ – „Der Sack erinnert sich nicht einmal! Soll ich dir mit ein paar Details auf die Sprünge helfen?“ – „Bitte.“ – „Vollrausch. Wirre Ansprachen an den Geist von Samuel Beckett im Treppenhaus. Mutwilliges Zerstören meiner Mingvasensammlung wegen, Zitat, Ming Ming Ming Ming Ming gefährlich. Erbrochenes in meinen Hausschuhen. Domestos in meinem Aquarium wegen, Zitat, Domestizierung der wilden Fische. Leberwurst an meinen Wänden wegen, Zitat, Irreführung der Horden des Khans. Abfackeln diverser Papierkörbe. Widerstand gegen die Staatsgewalt. Beschimpfung der gaffenden Nachbarn als, Zitat, faschistoide Roboter und …“
Ich unterbreche die gewiß etwas übertriebene Darstellung Irmhilds an dieser Stelle. Vermutlich war sie nur sauer, weil ich nicht mit ihr schlafen wollte. Ich erinnere mich nicht mehr. Jedenfalls rückte sie nach einigem guten Zureden (fünf Telefonkarten) mit dem Aufenthaltsort des dämlichen Gauners heraus (Westflügel, zweiter Stock, vierte Zelle von links).
Ich wartete auf den Einbruch der Dunkelheit und begab mich dann mit meiner Ausrüstung (Zwille, Bettlaken, Kokosmakronen) an die Mauern der JVA. In meiner Zielzelle brannte kein Licht.
Ich schlüpfte unter das beinahe schneeweiße, lediglich mit ein paar Flecken besudelte Bettlaken, in das ich zuvor Löcher für die Augen geschnitten hatte. Gegen Verrutschen sicherte ich das Laken in Stirnhöhe mit einem Einweckgummi. Insgesamt sah ich aus wie der Geist des Schahs von Persien.
Ich warf ein Seil mit Widerhaken ans Fenstergitter und erklomm die steile Wand, die geradezu senkrecht verlief. Just als ich oben den Fenstersims greifen wollte, passierte etwas völlig Unvorhergesehenes. Vielleicht ist dies der richtige Zeitpunkt, um einige Worte über mein exquisites Hairstyling zu verlieren. Nein, wenn ich es mir recht überlege, ist dies doch nicht der geeignete Zeitpunkt. Weiter mit Action: Ich griff den Sims und hielt mich fest, da hörte ich in der Zelle ein Rumoren, dann wurde Licht gemacht. Ich lugte über den Sims und sah, wie der bräsige Chamäleondieb sich schlaftrunken im Schritt kratzte. Nun war die Zeit für meinen großen Auftritt gekommen. Mit elegantem Schwung wuchtete ich mich auf den Sims und begann sogleich, den Schurken mit Kokosmakronen aus meiner Zwille unter Feuer zu nehmen. Ich muss dazu sagen, dass die Kokosmakronen meiner Mutter härter sind als 200-fach gefalteter Titanstahl. Dabei machte ich furchteinflößende Geräusche: „Buhuhu, buhu, buhuhuhuhuuuh!“ Das Weichei fiel sogleich auf die Knie, nässte sich ein und fing an zu beten: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm. Lieber Gott, mach mich frömmer, dass ich in den Himmel kömmer.“ Mit professioneller Genugtuung stellte ich fest, dass mein Plan funktionierte. Dieser Bursche würde singen wie eine Katze, die man an eine Autobatterie anschließt.
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