: „Das Problem liegt woanders“
Der Arbeitsmarktexperte Matthias Knuth über die moralinsaure Debatte in Deutschland
taz: Herr Knuth, Peter Hartz nannte den einstimmigen Kommissionsbeschluss „einen schönen Tag für die Arbeitslosen“. War er das?
Matthias Knuth: Immerhin können sie sich freuen, dass Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe nun doch nicht gekürzt wurden.
Aber das kann noch kommen, falls die Arbeitslosenzahlen nicht bis 2005 sinken.
Wer weiß, worüber wir in drei Jahren nachdenken. Aber es stimmt: Das ist eine gewisse Drohkulisse. Denn es ist nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Arbeitslosen so schnell sinkt.
Hartz verspricht, die Zahl der Erwerbslosen zu halbieren.
Das ist auch möglich, aber frühestens bis 2008. Wir befinden uns jetzt in einem konjunkturellen Abschwung. Allerdings bietet das Hartz-Konzept Möglichkeiten, die Arbeitslosen statistisch zu verstecken.
Wie?
Nicht deutlich ist zum Beispiel, wie die Arbeitslosen künftig gezählt werden, die bei den staatlichen Zeitarbeitsfirmen arbeiten. Es könnte sein, dass sie selbst dann als beschäftigt gelten, wenn keine Firma sie entleihen will.
Wenn es momentan sowieso kaum Arbeit gibt, ist dann die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien sinnvoll?
Die Zumutbarkeitskriterien sind schon verdammt streng. Das wird oft übersehen. Aber die Bürokratie war für die Arbeitsämter so enorm, dass sie die Paragrafen nicht angewandt haben.
Und das sollten sie?
Ja. Die öffentliche Debatte wird bisher leider sehr moralinsauer geführt. Die einen werfen den Arbeitslosen vor, sie seien arbeitsscheu und müssten zur Arbeit gezwungen werden. Die anderen behaupten das glatte Gegenteil. Dabei liegt das Problem woanders: Viele Arbeitslose können sich auf dem Arbeitsmarkt nicht orientieren. Sie wissen nicht, was sie wollen. Für sie müssen Entscheidungen herbeigeführt werden, und dafür sind die Zumutbarkeitskriterien eine Hilfe.
Das gilt auch für die Zeitarbeitsfirmen?
Sie können bei der Integration von Arbeitslosen helfen. Trotzdem finde ich diesen Hartz-Vorschlag bedenklich. Wenn Arbeitslose tatsächlich für einen Nettolohn wie das Arbeitslosengeld jobben sollen, dann wäre das die eigentliche Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien. Das wird dazu führen, dass auch die Tariflöhne für die Festangestellten in Gefahr geraten.
Also vor allem Kritik an der Hartz-Kommission?
Es ist goldrichtig, die Zahl der Vermittler zu vervierfachen. Allerdings bleibt unklar, wie man das finanzieren will – vor allem wenn sonst keine Reformvorschläge kommen, wie man die Bundesanstalt zu verändern ist.
Also doch Kritik?
Nein. Gut ist auch, dass alle Arbeitslosen, auch die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger, jetzt nur noch mit einer einzigen Stelle zu tun haben werden, mit den Job-Centern. INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN
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