: Der Exminister verkauft sich gut
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
Wie eine Insel liegt die Place de Luxembourg an der Rückseite des europäischen Parlaments in Brüssel. Schnörkelige Fassaden, bunte Markisen, Straßencafés. Wenn die Sonne warm genug scheint, flüchten die Leute aus ihren Neubaubüros hierher. Der Mann im grauen Anzug sitzt mit dem Rücken zum Platz, alle Konzentration gilt seinem Gesprächspartner. Beide Arme hebt er wie ein Dirigent, um die eigenen Worte zu akzentuieren, lässt sie auf den Kopf des anderen zusausen, stoppt abrupt: Das ist keine Musikergeste mehr, eher der Sturzflug eines Raubvogels.
So charakteristisch sind die Bewegungen des hageren Mannes mit dem kurz geschorenen, halb kahlen Kopf, dass den Beobachtern am Nachbartisch sofort ein Name in den Sinn kommt: Detlev Samland, was macht der eigentlich? Der wegen Steuerhinterziehung zurückgetretene Europaminister in Düsseldorf? Könnte doch sein, dass der sich in Brüssel nach neuen Einkommensquellen umschaut.
Tatsächlich: Der ehemalige Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Europaparlament ist zurück in der Europahauptstadt. Für die Politikberatungsagentur ECC Public Affairs baut der 49-Jährige eine Niederlassung in Brüssel auf. Ehemalige Politikerkollegen reagieren mit einer Mischung aus Respekt, Neid und Verachtung, wenn der Name Samland fällt: Ein anerkannter Haushaltsfachmann war das, ein strategischer Kopf, der Kompromisse aushandeln konnte und sich an Absprachen hielt. Schade, dass der jetzt für die anderen arbeitet, die Kontakte von früher versilbert. Überzeugungen zählen da ja wohl nicht mehr. Verdient aber viel Geld, nach allem, was man so hört.
Samland lacht über sein neues Staubsaugervertreter-Image. Ein typisch deutsches Vorurteil, das. Anderswo in der Welt gelte es als Plus für die Politikerkarriere, in der freien Wirtschaft Erfahrung gesammelt zu haben. „Gehen Sie mal nach Großbritannien oder gar in die USA – da sind Public Affairs ein klassisches Berufsfeld.“ Am klassischen Image poliert auch Kothes & Klewes, eine der größten deutschen PR-Agenturen. Mit ausländischen Partnern betreibt sie ECC Public Affairs als Politikberatungszweig des Unternehmens.
Beim Eröffnungsempfang steht der Gastgeber an der Tür, braun gebrannt und strahlend. Detlev Samland lobt eifrig wie ein Schuljunge sein neues Domizil. In der neuen Brüsseler Dependance hat sich der Innenausstatter bemüht, mit hellem Holz und Chrom eine gediegene, aber doch zukunftsgewandte Atmosphäre zu erzeugen. Die Büroetage liegt zwischen Verbänden und Europaparlament, nicht weit von der EU-Kommission. Der taubenblaue Teppichboden liegt auch jenseits der Trennwand schon, jederzeit könnte ECC Public Affairs bei Bedarf weitere Quadratmeter dazumieten. 15 bis 20 Prozent Wachstum werden jährlich erwartet, sonst gibt es keine Gewinnbeteiligung.
Samland erzählt das ernst, für einen Moment scheint ihn der Gedanke an die hohen Erwartungen der neuen Chefs zu belasten. Aber dann, beim Blick auf die Acrylgemälde an den Wänden, ist das Jungenlächeln wieder da: „Die kann man kaufen. Von einer belgisch-deutschen Malerin, meine Sekretärin hatte die Idee. Schließlich kommen hier eine Menge solvente Leute vorbei.“ Kurz kämpft er mit sich, um die Pointe von der Zunge zu drängen, die bei den Kunden vielleicht nicht so gut ankommt. Aber der Zyniker ist doch stärker als der Geschäftsmann: „Der Vater der Künstlerin hat die EU-Naturschutzrichtlinie erfunden. Das schreiben wir nicht dazu, wäre schlecht fürs Geschäft.“
Beim eigenen Image setzt er dagegen auf entwaffnende Offenheit, Motto: Fragen Sie ruhig, ich habe nichts zu verbergen. Wie überlebte er das Loch nach dem Rücktritt vom Amt des NRW-Europaministers, zu dem ihn Wolfgang Clement wegen nicht versteuerter Aufsichtsratsbezüge zwang? Ganz einfach, lautet die Samland-Version – das Loch gab es nicht: „Ich bin um 13 Uhr zurückgetreten, um 15 Uhr hatte ich schon das erste Angebot.“ Wie erlebte er die Niederlage in Essen, wo er sich 1999 um das Amt des Oberbürgermeisters beworben hatte? „Die SPD war damals in ihrer tiefsten Krise, Schröder wurde als Brioni-Kanzler durch die Medien getrieben. Ich nehme den Essenern ausgesprochen übel, dass sie den anderen gewählt haben. Ich war der bessere Kandidat.“ Warum hat es dennoch nicht geklappt? „Ich bin kein Politiker zum Anfassen, da haben Sie eine Schwachstelle berührt. Ich kann nicht auf Schrebergartenfesten locker sein – und ich versuche das auch gar nicht mehr.“
Nein, volksnah ist Detlev Samland wirklich nicht. Wie er am Eröffnungsabend seiner neuen Agentur mit spitzen Fingern die Plastiktüte mit Bildern greift, die ihm der Verbandsvertreter von „PVC und Umwelt“ als Gastgeschenk mitgebracht hat, wie er sie rasch der Sekretärin reicht mit leicht angewidertem Gesichtsausdruck: Da kann man sich vorstellen, wie er als Bürgermeisterkandidat Trachtengruppen und Bierfässer betrachtet haben mag.
Da muss er sich im neuen Job sogar weniger verbiegen. Kunden, deren Ziele er ablehnt oder für unrealistisch hält, muss er nicht vertreten – diese Garantie steht bei Kothes & Klewes im Vertrag jedes Beraters. Wie aber steht es dann mit der PVC-Lobby? Wie schafft er es, den alten Kollegen im Europaparlament mit Überzeugung den Plastikdreck zu verkaufen? Er antwortet entspannt und ehrlich amüsiert: „Ich verkaufe den Dreck ja nicht.“ Außerdem sei er alles andere als ein Fundamentalkritiker der Chlorchemie. Einige Endprodukte seien nicht ersetzbar, Blutbeutel zum Beispiel. „Aber wir wollen hier nicht in die PVC-Diskussion einsteigen. Meine Aufgabe ist es nicht, das Produkt zu bewerten. Meine Aufgabe ist, zwischen Politik und Industrie einen gangbaren Weg zu vermitteln, wie mit den Abfällen verfahren wird.“ Er kennt beide Welten und weiß, wie bei Politikern und unter Wirtschaftsleuten gedacht wird. Darin sieht er seine Stärke. „Die größte Überraschung bei meiner neuen Arbeit war, zu erleben, wie wenig Verständnis Unternehmer für ihre Rolle in der Gesellschaft haben. Und wie wenig Ahnung davon, wie Politiker denken.“
Die Welt der Politik sei vielen so fremd, dass sie vor Kontakten regelrecht zurückscheuten. Neulich habe er einem Kunden ein Treffen mit CDU-Fraktionschef Friedrich Merz vorgeschlagen. Die größte Sorge des Geschäftsmannes galt der Etikette: Muss ich zum Vertreter einer Oppositionspartei hinfahren oder kommt der zu mir? sei die wichtigste Frage gewesen.
Viele Wirtschaftsleute seien überzeugt, ein Politiker sei eher mit einer Einladung ins Luxusrestaurant zu gewinnen als mit Argumenten. Seine Erfahrung im EU-Parlament und mit den Abgeordneten im Düsseldorfer Landtag habe ihn gelehrt, dass es so nicht funktioniert. „Ich weiß, dass ich EU-Abgeordnete nicht mit einem Abendessen im ‚Comme chez soi‘ trösten muss. Wenn einer gut ist, kann er jeden Abend zu zehn Essen gehen. Dem können Sie die Garnele vorn und die Auster hinten reinschieben – da können Sie nichts mit reißen. Der will in komprimierter Form die Antwort auf ein Problem aus Sicht des Unternehmens, bestenfalls noch die Zusammenfassung eines Gutachtens. Ich lade fünf Unternehmensvertreter und fünf Politiker zwei Stunden zu einem klar abgegrenzten Thema ein – da haben alle mehr davon.“ Keine Träne weint er der politischen Arbeit nach, betont der Lobbyist. Nun hat er die meisten Wochenenden frei, kann Freundschaften pflegen, Leute bekochen und verdient dabei mehr Geld als zuvor.
Zur Tagespolitik will er eigentlich nichts sagen. Eigentlich. Kommt das Gespräch auf den blauen Brief für Deutschland oder die Gruppenfreistellung für Autohersteller, kommt die Leidenschaft des Politikers durch, Dinge in Bewegung zu bringen und Verhältnisse zu gestalten. Da hätten sie ihn mal ranlassen sollen. Als der Kanzler die wettbewerbswidrigen Sonderbedingungen für Autobauer zur Chefsache erklärte, war es doch längst zu spät. Da waren die Allianzen geschmiedet.
Bei seiner Berateragentur können Kunden einen maßgeschneiderten „Toolkasten“ buchen, der auf Wunsch ein Frühwarnsystem enthält. Hätte der Kanzler so ein Rundum-sorglos-Paket von ECC Public Affairs, so stellt es sich Samland vor, würde künftig rechtzeitig Alarm geschlagen. Schon in seiner Zeit als Europaminister hätte er in der Landesregierung gern ein solches Frühwarnsystem für EU-Entscheidungsprozesse eingeführt, die in Nordrhein-Westfalen relevant werden könnten. Damals allerdings konnte er sich bei den Kabinettskollegen und in der Verwaltung mit der Idee nicht durchsetzen.
Dem politischen Strippenziehen gehört also auch im neuen Job seine heimliche Leidenschaft. Seine Spielräume könnten in der Wirtschaft sogar größer sein als im Düsseldorfer oder Brüsseler Behördendschungel. Ein Trost allerdings bleibt neidischen Kollegen von einst: Die Eitelkeit, die bei Samland wie bei vielen Politikern ein treibender Wesenszug ist, kommt nicht auf ihre Kosten. Selbst wenn es ihm gelingt, unliebsame Entscheidungen vorauszusehen und im Auftrag seiner Kunden zu verhindern, wird die Öffentlichkeit nie erfahren, dass er hinter einem genialen Streich steckt. Die Lorbeeren, das versteht sich im Lobbygeschäft von selbst, gebühren dem Kunden. Der Lobbyist tröstet sich mit dem Erfolgshonorar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen