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Hilflos gegen die Flut

Wie die Menschen in Bayern und Österreich von den gewaltigen Wassermassen überrascht wurden

Der Baugrund galt als ungefährdet. Gegen Hochwasser war niemand versichert.

aus Glonn und Wien RALF LEONHARD und JÖRG SCHALLENBERG

„Wir werden nachts aus den schönsten Träumen geweckt – um die schlimmsten Albträume zu erleben. Ihre Feuerwehr.“ Dieses Plakat hat ein Feuerwehrmann in das Fenster seines Privatwagens gehängt, den er hier in Glonn am Klosterweg abgestellt hat, irgendwann in der Nacht von Samstag zu Sonntag.

Da begann sein Einsatz, und da wurde auch Gerald Gebsattel aus seinen süßen Träumen gerissen. An der Kellertreppe des Hauses Klosterweg 13 schwappte ihm sein schlimmster Albtraum schon entgegen. „Bis fünf Zentimeter unter dem Erdgeschoss stand das Wasser“, erzählt der 57-jährige Mann, die braunen Schlammstreifen an den weißen Wänden markieren den Pegelstand genau. Glück gehabt, könnte man meinen. Unter der Wasseroberfläche aber schwamm der Gebsattels gesamter Hausrat, den er wegen seines Umzugs in einem Keller zwischengelagert hatte.

Das Hochwasser – die Sintflut, wie es die Menschen hier, dreißig Kilometer südöstlich von München, angesichts der geradezu biblischen Wassermassen nur nennen – kam völlig überraschend und von zwei Seiten. Zum einen trat nach den unaufhörlichen Regenfällen vom Wochenende der Kupferbach über die Ufer, zum anderen wurde auf den Wiesen das Grundwasser so emporgedrückt, dass sich ganze Sturzbäche die leichte Anhöhe hinunter ergossen, direkt in die Keller und Tiefgaragen hinein.

Gestern, am Montag danach, scheint das Schlimmste vorbei. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk haben das Wasser aus den Kellern herausgepumpt. Aber nun wird das ganze Ausmaß der Misere erst sichtbar.

Auf einer Länge von fast 100 Metern gleicht der Straßenrand am Klosterweg einer lang gestreckten Müllhalde. Schon den ganzen Tag lang schleppen die Bewohner alles, was sich in den Kellern befand, nach draußen. Und das ist eine ganze Menge, denn jedes Haus verfügt über mindestens vier Kellerräume. Sofas, Sessel, Tische, Fernseher, Computer, Staubsauger, Bilder, Schränke, Bücher: alles türmt sich zu einem triefend nassen Stapel wertlosen Gerümpels.

Noch können die meisten hier gar nicht begreifen, was geschehen ist. Der 10-jährige Luka Paetmann aus Nummer 15 freut sich, dass er „eine Kiste Lego, die Gitarre und Opas Fotoalbum“ retten konnte. Außerdem fand er es „ganz cool, mit dem Schlauchboot nach Hause gefahren zu werden“, als er Samstagnacht von einem Ausflug zurückkam.

Da stand das Wasser auf den Straßen von Glonn schon meterhoch, und um das gesamte Hab und Gut von Gerald Gebsattel war es bereits geschehen: „Manches kann man ja ersetzen, und die Elektrogeräte funktionieren vielleicht noch. Aber ich hatte eine wertvolle Briefmarkensammlung, die kann ich natürlich vergessen.“ Ratlos steht er da, in den hohen Gummistiefeln, in der vor Schlamm starrenden Hose und dem verdreckten, einst orangefarbenen T-Shirt. Dann fällt ihm ein: „Die Fotos, die Dias und die ganzen Filme, die mein Vater früher mit einer kleinen Kamera aufgenommen hat, das ist ja praktisch meine ganze Jugend – alles weg mit einem Mal.“

Dazu kommt der materielle Schaden. Niemand hier am Klosterweg in Glonn war gegen Hochwasserschäden versichert. Schließlich galt der Baugrund als ungefährdet. Das letzte Mal war der Kupferbach 1946 über seine Ufer getreten, aber nicht annähernd in solchem Ausmaß wie an diesem Wochenende. Es war überhaupt das erste Mal, dass im Landkreis Ebersberg Katastrophenalarm ausgelöst wurde.

„Die alten Fotos, das ist ja praktisch meine ganze Jugend. Alles weg mit einem Mal.“

In Österreich traf es gestern die Festspielstadt Salzburg, die zum Katastrophengebiet wurde. Alle Brücken über die stündlich weiter anschwellende Salzach wurden gesperrt. Am Vormittag rissen die Fluten vor den Augen der entsetzen Umstehenden das neue Ausflugsschiff „Amadeus“ aus der Verankerung. Es versank zu drei Vierteln in den Fluten. Das Salzburger Telefonnetz brach teilweise zusammen. In der alten Bergbaustadt Hallein hat die Salzach die historische Innenstadt unter Wasser gesetzt, weil der Feuerwehr nach tagelangem Einsatz die Sandsäcke ausgegangen sind. Ein Feuerwehrmann, der in Maria Pfarr im Lungau in den Fluss stürzte, wird noch vermisst.

Auch im oberösterreichischen Steyr mussten die Ennsbrücken und die Innenstadt gesperrt werden. Waren aus den überfluteten Geschäften auf dem Stadtplatz treiben durch die Straßen. Man spricht von der größten Flutkatastrophe seit über hundert Jahren. Das nahe gelegene Wasserkraftwerk von Rosenau drohte am Montag zu bersten.

Bei Zwettl im Waldviertel hatte sich bis zum neuerlichen Einsatz des Regens gestern Nachmittag der Pegel des Kamp um 40 Zentimeter gesenkt. Doch die Innenstadt steht noch immer unter Wasser. Die Feuerwehr stellte das Auspumpen überfluteter Häuser ein, weil das Wasser nirgends mehr abrinnen kann.

Auch die österreichische Politik steht ganz im Zeichen des Hochwassers. Eine für Mittwoch anberaumte Sondersitzung des Parlaments zum geplanten Ankauf hochmoderner Abfangjäger wurde auf einstimmigen Beschluss aller Parteien auf nächste Woche verschoben.

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