: Staatlicher Taktstock bei Hassmusik
Brandenburger Opposition fordert Aufklärung über staatliche Machenschaften in der Neonazi-Musikszene. Neben Potsdamer Verfassungsschutz soll auch das Landeskriminalamt einen Informanten führen. Schönbohm schweigt zu neuen Vorwürfen
von HEIKE KLEFFNER
Die Affäre um den Cottbuser Neonazi und V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes Toni S. bringt Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) weiter unter Druck. Auf Antrag der PDS-Opposition wird sich die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags am Donnerstag in Potsdam auf einer vorgezogenen Sitzung mit dem Fall beschäftigen.
Toni S. sitzt seit drei Wochen in Berlin in Untersuchungshaft. Er soll beim Vertrieb neonazistischer Hassmusik mit Wissen seines V-Mann-Führers Straftaten begangen haben. Die Affäre sorgt seit Wochen für Streit zwischen den Sicherheitsbehörden von Berlin und Brandenburg. Schönbohm wirft den Berliner Ermittlern, die Toni S. auffliegen ließen, „unglaubliche Indiskretion“ vor. Die halten dagegen: „Der Verfassungsschutz in Brandenburg produziert das Problem mit, das er bekämpfen soll“.
Auch Generalbundesanwalt Kay Nehm hat sich eingeschaltet. Er erwartet von Schönbohms Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin Auskunft darüber, inwieweit der V-Mann Toni S. an der Erstellung von CDs der Berliner Neonaziband Landser beteiligt war, gegen die Nehm als „kriminelle Vereinigung“ ermittelt.
Der Vorwurf, dass Brandenburgs Sicherheitsbehörden im Kampf gegen Rechtsextremismus „den Bock zum Gärtner machen“, so Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung, erhält derweil neue Nahrung. Ausweislich eines Vermerkes des Landeskriminalamts (LKA) in Sachsen-Anhalt wird der brandenburgische Neonazi Sven S., der über ein Postfach und den Versand „Hate Sounds“ in Birkenwerder einschlägige Hassmusik verbreitet und produziert, als Informant des brandenburgischen LKA geführt. Die Staatsanwaltschaft Halle bestätigte gestern, dass gegen Sven S. und weitere 37 Beschuldigte in sieben Bundesländern seit über einem Jahr unter anderem wegen Verstoß gegen das Vereinsverbot ermittelt wird. Der Vorwurf: Nach dem Verbot des Neonazinetzwerkes „Blood & Honour“ im September 2000 durch das Bundesinnenministerium seien die Rechtsextremisten weiterhin als Vereinigung aktiv gewesen.
Staatsanwaltssprecher Klaus Wiechmann bestätigte auch, dass ein entsprechender Aktenvermerk über die Informantentätigkeit von Sven S. für das LKA Brandenburg, der auf einer neonazistischen Website gepostet wurde, Teil der Ermittlungsakten sei. Schönbohms Sprecher wollte dazu bis gestern Nachmittag keinen Kommentar abgeben.
Kerstin Kaiser-Nicht, innenpolitische Sprecherin der brandenburgischen PDS-Landtagsfraktion, will jetzt Genaueres über das Verhältnis zwischen den Sicherheitsbehörden und Sven S. wissen. „Man muss die Frage stellen, wie das Verhältnis zwischen dem Landeskriminalamt und Sven S. im Einzelnen aussah und welche Rolle Sven S. im Netzwerk neonazistischer Musikproduktionen spielt,“ sagte Kaiser-Nicht.
Volker Ratzmann, Vizefraktionsvorsitzender der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, hatte bereits in den vergangenen Tagen den Rücktritt von Brandenburgs Innenminister Schönbohm im Zusammenhang mit den Straftaten von V-Mann Toni S. gefordert. Nach dem Bekanntwerden des Falls Sven S. sieht er neuen Klärungsbedarf. „Inwieweit wird hier von den Sicherheitsbehörden aus Ermittlungsinteresse zu lange abgewartet, sodass ein Risikobereich – die Verbreitung von Hassmusik, die eindeutig als Begleitmusik für rassistische Tötungsdelikte diente – außer Kontrolle gerät?“, fragt Ratzmann und verweist darauf, dass auch im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsverfahren die Rolle der LKA-Informanten keineswegs geklärt sei.
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