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Ganz umsonst sind Gipfel nicht

Südafrika erhofft sich Impulse im Kampf gegen Armut und um soziale Gerechtigkeit. Die Erfahrungen von Rio zeigen: Ein Gipfel kann ein Land ändern

Nach langer Schweigepause rührt jetzt die Johannesburg World Summit Company (Jowsco) täglich nachhaltig die Werbetrommel für den Weltgipfel zur nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg. Die Firma organisiert die Konferenz der Vereinten Nationen in Südafrika, und die Verantwortlichen behaupten, bestens für die Eröffnung am 26. August vorbereitet zu sein.

60.000 Delegierte und 5.000 Medienvertreter werden in Südafrikas Metropole erwartet, um zehn Tage lang das Gipfeltreffen zu verfolgen, das sich in erster Linie an drei Orten abspielen wird: Das Sandton Convention Centre im nobelsten Viertel von Johannesburg ist das offizielle Zentrum des Gipfels, in dem Staatsoberhäupter über Programmpunkte beraten werden. Das nahe gelegene Ubuntu-Village, eine errichtete Zeltstadt, bietet eine Plattform für Ausstellungen, Diskussionen und kulturelle Veranstaltungen. In Nasrec, 25 Kilometer außerhalb der Stadt nahe am Township Soweto, werden etwa 45.000 Aktivisten der Nichtregierungsorganisationen im Ausstellungsgelände Nasrec ihre Visionen des 21. Jahrhunderts diskutieren.

Ein Netz mit 24 Sicherheitszonen umschließt die Hauptzentren und etwa 400 Veranstaltungen werden parallel zum Gipfel durchgeführt. Nur wenige Tage vor Konferenzbeginn ist die Finanzierung von 450 der 550 Millionen Rand (55 Millionen Euro) gesichert, die der Erdgipfel kostet.

Noch bleibt offen, wie viel Staatsoberhäupter sich tatsächlich für den Umwelt- und Entwicklungsgipfel angemeldet haben. „Wir wollen jeden in Johannesburg sehen“, sagte kürzlich Südafrikas Außenministerin Nkosazana Dlamini-Zuma bei einem Besuch in den USA, der in Beratungen mit Offiziellen größere Unterstützung für den Gipfel und eine stabile Basis für Abstimmungen der kritischen Programmpunkte in Johannesburg bringen sollte.

Zwar sind 75 Prozent des Textentwurfes mit Absichtserklärungen und Planungen für die nächsten 10 Jahre bereits verabschiedet, doch für die noch in Klammern stehenden Klauseln – die meisten zur Finanzierung und Handelsabkommen – muss in Johannesburg eine Einigung erzielt werden. Dabei fehlt noch immer die Zusage zur Teilnahme der mächtigsten Industrienation, der Vereinigten Staaten.

Gastgeberland Südafrika und die südlichen Länder konzentrieren sich bei diesem Nachfolgegipfel von Rio stärker auf Entwicklung der Dritten Welt. Im Kontrast zu Rio liegt der Hauptschwerpunkt nicht auf Umweltproblematiken, sondern auf der Armutsbeseitigung und der anhaltenden Versorgung der südlichen Halbkugel mit Nahrungsmitteln. Die südafrikanische Regierung hat insbesondere die Schlüsselbereiche Wasser, Energie, Gesundheit, Landwirtschaft, Erziehung und Technologie weit oben auf der Tagesordnung angesiedelt. Trotz zahlreicher Initiativen seit Einzug der Demokratie 1994 leben 7 Millionen Südafrikaner ohne Wasseranschluss und 18 Millionen ohne sanitäre Einrichtungen. Eine wohlhabende Minderheit lebt mit Erste-Welt-Standard, produziert den meisten Müll und verbraucht zu viel Wasser und Energie – die Armen spüren die Konsequenzen am härtesten und tragen durch den Verbrauch von Kohle und Holz als Energiequellen noch weiter zur Verschmutzung bei.

Mary Metcalfe, Umweltministerin in der Provinz Gauteng, legt alle Hoffnung für einen Erfolg darauf, ob der Gipfel anhaltenden Einfluss auf langfristige Entwicklung ausüben kann und ob Südafrikaner diese Bedeutung, Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen, besser verstehen werden. Projekte zur Nutzung regenerativer Energien werden betrieben, doch eines ist klar: „Mehr Wege und bessere Alternativen zum Schutz der Umwelt müssen gefunden werden, aber es ist nicht unsere Priorität. Wir können es uns in den nächsten zehn Jahren nicht leisten“, erklärt Manale Blessing, Sprecher im Umwelt- und Tourismusministerium. „Die sozialen Verbesserungen müssen im Vordergrund stehen.“

„Der Süden kämpft gegen die Ungleichheiten, während der Norden überkonsumiert und sich an keine Versprechungen gehalten hat“, sagt Victor Munnik, politischer Sprecher des Global Forums, eines Zusammenschlusses aller Interessengruppen der Zivilgesellschaft in Südafrika. „Damit müssen wir auf dem Gipfel umgehen, Alternativen finden. Das Ergebnis muss ein humanistischerer Ansatz sein in der profitorientierten Welt, um ein globales Einverständnis zu schaffen. Doch sicher werden die Politiker die in Rio verabschiedete Agenda 21 verteidigen.“

Für die soziale Bewegung, deren Bewusstsein in den letzten zehn Jahren gereift sei, liege die große Herausforderung darin, sich weiter zu stärken, nur dann könnten politisch verabschiedete Konzepte langfristig in der Bevölkerung umgesetzt werden. Gleichzeitig müssten die politische Demokratiebestrebungen in Afrika stärker wachsen, um ein solides Fundament für die Zukunft des armen Kontinents zu erarbeiten.

MARTINA SCHWIKOWSKI,JOHANNESBURG

Vor 15 Jahren galten wir Umweltaktivisten als Exoten und Propheten der Apokalypse“, sagt Carlos Minc von der Arbeiterpartei PT, der profilierteste rot-grüne Abgeordnete im Landesparlament von Rio de Janeiro. „Heute dagegen bekennt sich jeder Regierungschef und Unternehmer zumindest verbal zum Umweltschutz.“ Zu dieser Aufwertung hat der Gipfel von Rio 1992 erheblich beigetragen. Nun ist Minc, Urheber unzähliger Gesetze vom Asbestverbot bis zur Ausweisung von Nationalparks, kein Einzelkämpfer mehr, doch im Zweifelsfall ziehen er und seine Gleichgesinnten gegen die Wachstumsapostel in der Bundesregierung und der eigenen Partei noch immer den Kürzeren. So wird in Amazonien mit großer Unterstützung aus dem Ausland das ehrgeizige PPG-7-Tropenwaldschutzprogramm umgesetzt. Allein Deutschland hat dafür etwa 260 Millionen Euro zugesagt. Indianische Gemeinschaften bekommen ihr Land überschrieben, Kleinbauern können Urwaldfrüchte besser vermarkten, immer mehr staatliche Stellen bekämpfen den Raubbau. Die Zahl der Beispiele, wie der Regenwald schonend genutzt werden kann, wächst stetig.

Andererseits hält die brasilianische Regierung an Großprojekten fest, die Mensch und Umwelt bedrohen: Am Xingu-Fluss in Ostamazonien drängt sie erneut auf den Bau eines umstrittenen Wasserkraftwerks, das in den Achtzigerjahren bereits gestoppt worden war. Es wäre das viertgrößte der Welt. Milliardenbeträge fließen in den Bau von Straßen, Eisenbahnlinien und Wasserstraßen, um den Transport von Soja, Tropenholz und Mineralien zu verbilligen.

Dabei zeigt die Entwicklung der letzten Jahrzehnte: Der Export der natürlichen Reichtümer Amazoniens hat die Armut kaum verringert. Auf der Suche nach Arbeit und Land strömen nach wie vor hunderttausende ins Amazonasgebiet. Obwohl die Böden für die Landwirtschaft nur begrenzt taugen, findet sich dort 90 Prozent alles neu ausgewiesenen Landes für Kleinbauern.

„Noch immer werden strukturelle Probleme wie die Frage der Agrarreform nach Amazonien verlagert“, beklagt Mário Menezes vom Umweltministerium. Trotz modernster Satellitenüberwachung verschwinden jährlich rund 20.000 Quadratkilometer Regenwald – eine Fläche von der Größe von Rheinland-Pfalz. Anderswo gebe es dagegen „kleine Fortschritte“, meint Kátia Monteiro von „Friends of The Earth“ in Porto Alegre. Vor allem im industrialisierten Süden und Südosten Brasiliens seien nach dem Umweltgipfel erfolgreiche lokale Initiativen entstanden. Auch beim Schutz des Atlantischen Regenwaldes gehe es voran.

Aber nur, wenn keine mächtigen Exportinteressen im Weg stehen: So eröffnete Präsident Fernando Henrique Cardoso vor zwei Wochen im Bundesstaat Espírito Santo nördlich von Rio die dritte Anlage des Zellstoffgiganten Aracruz Celulose in der Region. Über 90 Prozent der geplanten Jahresproduktion von 2 Millionen Tonnen Zellstoff sind für den Export bestimmt, um den ständig wachsenden Bedarf der Industrieländer an Papierprodukten zu befriedigen. Hierfür ist ein Großteil der fruchtbarsten Äcker der Region mit Eukalyptus bepflanzt worden. Aracruz besitzt in Espírito Santo über 3.000 Quadratkilometer Land. Für die neuen, mit staatlichen Millionenkrediten geförderten Produktionskapazitäten will der Konzern nochmals weitere 700 Quadratkilometer für die Anpflanzung von Eukalyptusplantagen hinzukaufen. Wegen der Monokultur klagt die lokale Bevölkerung über Wasserknappheit und rückläufige Ernteerträge.

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ermittelt gegen den Multi wegen der Vernichtung großer Flächen des Atlantischen Regenwaldes und der Verdrängung von Kleinbauern, Indianern und afrobrasilianischen Gemeinschaften. Außerdem wurden die Flüsse um die Eukalyptusplantagen durch Düngemittel und Pestizide vergiftet. Die im Netzwerk „Bewegung gegen die grüne Wüste“ zusammengeschlossenen Basisgruppen haben in den letzten Wochen ihre Protestaktionen gegen Aracruz ausgeweitet.

Der bedingungslose Rückhalt der Regierung hat einen einfachen Grund: Aracruz erwirtschaftet Devisen. Doch selbst die Jahr um Jahr steigenden Exporterlöse der in Brasilien aktiven Firmen reichen nicht im Entferntesten aus, um die Schuldenberge abzubauen. „Der Schuldendienst verschlingt jedes Jahr ein Viertel des gesamten Bundeshaushalts“, erklärt der Agrarökonom Hélcio de Souza vom Forschungsinstitut Inesc in Brasília. Als Folge des Sparkurses kommt es regelmäßig zu Haushaltskürzungen, die im Umweltbereich besonders drastisch ausfallen: Für 2002 waren 443 Millionen Euro an Projektmitteln vorgesehen. Nun bleiben 103 Millionen Euro. Und ausgegeben wurden bis Juni erst 9 Millionen.

GERHARD DILGER, PORTO ALEGRE

Mehr Informationen zu Soja und Eukalyptus: www.urgewald.de

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