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Im Gespräch mit Mauern

Zahlreiche Mauerbilder in Altona und Ottensen nehmen Stellung zu den soziokulturellen Bewegungen des Viertels. Zu ihnen bietet das Stadtteilarchiv Ottensen regelmäßig Exkursionen an

von KATRIN JÄGER

Dass unter dem Einkaufszentrum „Mercado“ in Ottensen ein jüdischer Friedhof liegt, daran denken nur noch wenige, die durch die Warenregale streifen. Und das, obwohl der Bau des Konsumtempels großen Protest bei der Ottensener Bevölkerung hervorrief. Aus den Augen, aus dem Sinn, gäbe es nicht das Mauerbild in der Kleinen Rainstraße 21: Juden trauern auf dem zerstörten Friedhof.

Angesichts des Bildes drängt sich die Geschichte dieses Platzes auf, die Erinnerung an den Friedhof, an den Krämer um die Ecke, an den Protest. Wandmalerin Hildegund Schuster hat das Bild zusammen mit der Initiative Quarree, einer Bürgerinitiative gegen die Einkaufsmeile in Ottensen, entworfen und produziert. Als Kommentar, als Erinnerung, als Symbol des Widerstands.

Aufmerksame Stadtwanderer können in Altona viele Wandbilder entdecken. „Weil es hier politisch und sozial immer brodelt und kocht. Hier passiert Politik auf der Straße, für und mit den Menschen, die hier wohnen. Ottensen ist schon von seiner Geschichte her ein kleines Widerstandsnest“, so die Kulturhistorikerin Elisabeth von Dücker, Mitarbeiterin im Stadtteilarchiv Ottensen.

Die bunten Mauern erzählen von den MetallarbeiterInnen, den GlasbläserInnen und ZigarrendreherInnen, die in den kleinen Häusern direkt neben den Fabriken lebten. Sie skizzieren die Entwicklung vom Arbeiterviertel zum Medienstandort, wie das Bild auf der Fassade des Multimedia-Hauses in der Behringstraße. „Wandbilder können auch den Blick öffnen für das, was hinter dieser Mauer geschieht“, berichtet von Dücker.

Auf der Seitenfassade der Motte, des ersten selbst verwalteten soziokulturellen Projektes in Hamburg, drehen Jugendliche ein Videoprojekt, drucken BürgerInnen ihre eigene Zeitung. Das Stadtteilarchiv Ottensen bietet seit Jahren kulturhistorische Rundgänge und Fahrradexkursionen zu den Wandgemälden des Viertels an. Leiterin von Dücker interpretiert dann nicht nur das Bild, sondern bettet es in seinen historischen und räumlichen Kontext ein.

Die Entstehung der Bilder spiegelt auch die Lebensumstände derer, die sie produziert haben. Beispielsweise das mittlerweile verbaute Bild in der Klausstraße 12–14. Vor zehn Jahren haben Menschen dieses Haus besetzt und binnen eines Tages ein Protestbild gegen Mietwucher und Wohnungsnot gemalt. Im Zentrum eine große rote Krake, die einen Vertreter der Deutschen Bank in ihren Fängen hält. Auf ihren Rundgängen zeigt von Dücker den TeilnehmerInnen ein Foto des Wandbildes. Fast wie nebenbei erfahren sie, dass die „Krakas“ als erste Gruppen in den Niederlanden leer stehende Häuser bezogen. So entstehen Diskussionen: über unterschiedliche Lebensstile, politische Anschauungen, architektonische Veränderungen.

Nicht nur, dass sie für alle jederzeit zugänglich sind, auch ihre Vergänglichkeit unterscheidet die Fassadenbilder von der Museumskunst. Obwohl die MalerInnen in der Regel Latexfarbe verwenden, sorgen Wind, Regen, Sonne und Temperaturschwankungen dafür, dass das Motiv nicht mehr als 15 Jahre übersteht.

Die moderne Wandmalerei in Altona bezieht sich traditionell auf die mexikanische Wandmalerei in der ersten Dekade des letzten Jahrhunderts. Sie erzählte von der Revolution mit bildnerischen Mitteln. In Hamburg begannen erst über 50 Jahre später die BewohnerInnen der Hafenstraße, ihren Häuserkampf per Wandbild in die Gesellschaft zu tragen. Das zog sogar Touristenbusse an.

nächste Exkursion: So, 16 Uhr, Treff: Holstentwiete/Ecke Fischers Allee, Fahrrad mitbringen (Kosten: 6 Euro, ermäßigt 3 Euro)

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