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Da bleibt einem die Luft weg

Böse Zustände im Abschiebeknast in der Vahr: Ein Bewusstloser soll erst nach einer halben Stunde Hilfe bekommen haben. Das Bremer Gesetz zur Regelung des Abschiebegewahrsams ist nach acht Monaten immer noch nicht umgesetzt

Panik im Abschiebeknast: Vor einer Woche lag ein Gefangener nachts um halb zwölf plötzlich rücklings auf dem Zellenboden und atmete schwer. Seine Mitgefangenen erkannte der Türke nicht. Sie spritzten ihm kaltes Wasser ins Gesicht, um ihn zu Bewusstsein zu bringen. Dann drückten sie den Alarmknopf. Ab diesem Moment gehen die Darstellungen auseinander. Laut einer eidesstattlichen Versicherung von zwei Gefangenen passierte nichts. Sie hätten mit Händen und Füßen an die Türen getrommelt – keine Reaktion. In ihrer Verzweiflung hätten sie sogar versucht, die Sprinkleranlage auszulösen. Erst nach einer halben Stunde seien zwei Beamte gekommen.

Im Polizeibericht steht alles ganz anders: Nach Eingang des Notsignals seien die beiden Diensthabenden sofort gekommen und hätten den Leblosen mit Herzmassage und Beatmung wiederbelebt. Nach zehn Minuten sei eine Notärztin eingetroffen und der Mann sei in ein Krankenhaus auf die Intensivstation gebracht worden, da er nach wie vor gekrampft habe. Am nächsten Tag wurde er wieder zurück gebracht.

Ungeklärt ist bislang, was es mit der Verzögerung auf sich hat. Laut Polizei gibt es zwei Alarmmöglichkeiten. Dass beide nicht registriert worden seien, bezeichnete Polizeisprecher Heiner Melloh gestern als „sehr, sehr unwahrscheinlich“. Nach Aktenlage hätten die Beamten in dieser Notfallsituation vorbildlich reagiert. Die Insassen schätzen die Zeit, die zwischen dem Auslösen des Alarms und dem Eintreffen der Polizei lag, zwischen 25 und 40 Minuten.

Eigentlich wäre das Vorkommnis der klassische Fall für den gesetzlich vorgesehen Anstaltsbeirat. Aber das Gremium existiert noch nicht. „Im normalen Strafvollzug ist ein solcher Beirat selbstverständlich“, ärgert sich der Grüne Innenpolitiker Matthias Güldner, „in der Abschiebehaft gibt es auch acht Monate, nachdem das Gesetz verabschiedet wurde, keinen Beirat.“

Innenressort-Sprecher Markus Beyer erklärt, die zugehörige Verordnung sei erst seit dem 12. Juni in Kraft. Nun warte man darauf, dass die vorgesehenen Organisationen Vertreter in den Beirat entsenden. Dann könne es losgehen. Aber die Grünen haben noch mehr Kritik: Der Einkaufsdienst für die Gefangenen sei weggefallen, die vorgesehene Sozialarbeiterstelle immer noch nicht besetzt. Stimmt, sagt Beyer, aber für beide Posten würden geeignete Bewerber gesucht. In der Zwischenzeit würden Polizisten für die Gefangenen einkaufen. „Komisch“, schimpft Ghislaine Valter von der Gruppe „Grenzenlos“, „die Polizisten sagen immer nur, die Gefangenen hätten keine Wünsche. Vorher war ein Mann damit zweimal die Woche beschäftigt.“ Valter leistet ehrenamtliche Sozialarbeit im Abschiebeknast und macht sich auf eigenen Kosten für die Rechte der Häftlinge stark. Selbst können die das auch meist nicht: Bislang gibt es noch nicht einmal mehrsprachige Informationsblätter über die Insassenrechte, wie von der Behörde immer wieder versprochen.

Jan Kahlcke

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