off-kino Filme aus dem Archiv –frisch gesichtet

Alfred Hitchcocks wohl seltsamster Film: „Under Capricorn“ (1949), ein im Australien des 19. Jahrhunderts spielendes Kostüm-Melodrama, romantisch und albtraumhaft zugleich, ein Film ohne Suspense, jedoch nicht ohne Thrill. Eine Rolle für Ingrid Bergman habe er gesucht, nachdem er mit der schönen Schwedin zuvor in „Spellbound“ und „Notorious“ überaus erfolgreich zusammengearbeitet hatte, ließ Hitchcock später als Motivation für seine Arbeit an dem für ihn eher ungewöhnlichen Werk verlautbaren. Gleichwohl lassen sich in „Under Capricorn“ viele typische Hitchcock-Motive finden. Am deutlichsten tritt dies in der Darstellung weiblicher Sexualität zutage, die in seinen Filmen oft mit Demütigungen verbunden ist. Hatte Bergman bereits in „Notorious“ die haltlose Trinkerin Alicia gespielt, die sich zu einer entwürdigenden Sexspionage verpflichten lässt, so führt ihre Lady Henrietta in „Under Capricorn“ die Linie der Erniedrigung weiter: Die englische Aristokratin, die in der Strafkolonie Australien lebt, wo sie einen ehemaligen Stallknecht geheiratet hat, der einst für einen Totschlag büßte, den in Wirklichkeit sie selbst begangen hatte, ist längst zu einem Alkoholwrack geworden, das von einer fiesen Haushälterin terrorisiert wird. Doch die Demütigung besitzt eine masochistische Note: Ihrem Cousin gesteht Henrietta, dass sie sich gelegentlich wünsche, so tief zu sinken, bis es nicht mehr tiefer gehe.

Stilistisch orientiert sich der Film streckenweise an dem ebenfalls ungewöhnlichen Vorgängerprojekt „The Rope“: viele lange Szenen in einer einzigen Einstellung, fließende Kamerabewegungen, viel Dialog. Um melodramatische Spannung zu erzeugen, hatte Hitchcock eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Methode entwickelt: Jede „gute Nachricht“, die man als Zuschauer mit Erleichterung aufnimmt, verkehrt sich kurze Zeit später in ihr genaues Gegenteil. In „Under Capricorn“ nutzt Hitchcock dieses Prinzip, um das Publikum über die moralische Integrität der Figuren im Unklaren zu lassen und einen konstanten Wechsel der Sympathie heraufzubeschwören. So tritt Henriettas Cousin, der leichtfertige Charles Adare (Michael Wilding), erst als galanter Retter auf, der dann beinahe eine Ehe zerstört, und ihr Gatte, der verbitterte Sam Flusky (Joseph Cotten), erweist sich plötzlich als romantischer Liebhaber. Lady Henrietta hingegen verwandelt sich aus der Alkoholruine in eine blühende Schönheit. Und wieder zurück. Hitchcock dürfte diese Paradoxie gefallen haben.

„Under Capricorn“ (OF) 20. 8. im Filmkunsthaus Babylon

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Ebenfalls im Programm: „The Rope“ (Cocktail für eine Leiche, 1948), jenes Werk, mit dem sich Hitchcock an ein ausgesprochenes Experiment wagte: den Spielfilm in einer einzigen Einstellung (nicht mitgerechnet der Schnitt nach dem Vorspann von einer Hausfassade in eine Wohnung). Dafür ließ Hitchcock die zehnminütigen Filmrollen jeweils ohne Unterbrechung durchlaufen, ein direkt vor der Kamera stehender Schauspieler diente ihm zum Ende und Anfang jeder Rolle als eine Art Schwarzblende. So blieb die Einheit von Ort und Zeit der Handlung bewahrt, die sich an einem Abend in der Wohnung zweier Studenten zuträgt, die einen vermeintlich perfekten Mord begangen haben. Zur Feier ihrer Tat geben sie eine Party, zu der sie zynischerweise die Verlobte des Opfers, seinen Vater und ihren Mentor eingeladen haben, einen Lehrer (James Stewart), der schließlich erkennen muss, dass seine Theorie vom intellektuellen Übermenschen, für die herkömmliche Moralgesetze nicht gelten, hier in die grässliche Tat umgesetzt wurde. Zu allem Überfluss haben die beiden Mörder die Leiche in einer Truhe versteckt, auf der sie das kalte Büffet aufgebaut haben – was Hitchcock für eine schöne Suspense-Sequenz nutzt: Denn während die Partygäste noch über das Schicksal des Vermissten rätseln, räumt die Haushälterin minutenlang unbemerkt das Büffet ab, um einen Stapel Bücher in die Truhe zurückzulegen ...

„The Rope“ 18. 8., 21. 8. im Filmkunsthaus Babylon

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Eine Reihe von Filmen aus der Zusammenarbeit von Werner Herzog und Klaus Kinski zeigt das Filmmuseum Potsdam. Darunter auch „Nosferatu – Phantom der Nacht“ (1979), Herzogs Hommage an F.W. Murnaus „Dracula“-Bearbeitung aus dem Jahre 1921, in der Kinski die Gestik und Körperhaltung des Original-Nosferatus Max Schreck oft bis ins Detail genau imitiert.

„Nosferatu – Phantom der Nacht“ 19. 8. – 21. 8. im Filmmuseum Potsdam

LARS PENNING