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Musik von den Herdplatten

Der Kochsalon in der Bernhard Nocht-Straße will „Inbiss“ sein und hat nun auch seinen eigenen Soundtrack: Die Compilation „Gar!“ versammelt etwas verkochte Klassik

von ROGER BEHRENS

Mit „Das Gastmahl“ wird der berühmte Platon-Text „Symposion“ gemeinhin übersetzt. Wenngleich das griechische Wort eigentlich das meint, was auch heute noch gute Kneipenkultur auszeichnet: Zusammen trinken (und zwar reichlich), und dabei so ziemlich alles diskutieren, was das Leben bewegt. Dazu gehören die Themensprünge, das Triviale und der Klatsch, Reflexion und schließlich die nötige Ironie, sich nicht auf Stammtischniveau herabzuwürdigen. Alles kann, nichts muss – schon in Platons Bericht ging es um Grundsätzliches wie Gerechtigkeit oder Erotik – ein Kommen und Gehen von Freunden und Fremden.

Doch beim Symposium geht es auch ums Essen, schließlich um die Kochkunst. Das heißt, nicht erst das Essen zum Genuss zu machen, sondern schon das Kochen. Das Kochen also nicht in die Küche abzudrängen, nein, den Herd zur offenen Bühne zu machen. Nicht als Imbiss, sondern Inbiss – das ist das Konzept von Telse Buss‘ Kochsalon, unweit von Hafenstraße und Pudel Club.

Gegessen wird, was auf den Tresen kommt; an dem sitzen die Gäste auf merkwürdigen Interimsmöbeln. Der Raum scheint provisorisch, im besten Sinne des Wortes. So wie die Kunst an den Wänden, die Bilder von 4000, die für wenig Geld sofort zu kaufen sind. 4000 hat auch das Cover einer CD mit „Klassikern aus dem Kochsalon“ gestaltet. Aus dem Booklet ist ein kleines Kochbuch geworden – mit leckeren Rezepten, die auch im Kochsalon gelegentlich auf der Karte stehen: Perlhuhnbrust in mexikanischer Kaffeesauce, Tomaten-Minzeis mit Melonensalat und überhaupt: das Cola-Huhn, also Geflügel in einem Liter Cola 45 Minuten lang kochen: Lecker wie Honeychicken.

Die Musik gibt das angenehme Hintergrundrauschen des kulinarischen Ereignisses ab; auf CD funktionieren die Zweitverwertungen klassischer und romantischer Klaviermusik nicht wirklich, außer eben zum Kochen. Compiliert hat die CD Kochsalon-DJ Martin Hossbach, der bei Universal Classics mitverantwortlich ist für die ganze Abteilung aufgewärmter und dann eben falsch als „Klassik“ vermarkteter Musik: dazu gehören Yellow Lounge, die Serie Mondän oder Raphaël Marionneaus Le Classique Abstrait. Von der E-Musik bleibt das Etikett: auf dem Kochsalon-Sampler wenigstens gerahmt von Rocko Schamoni oder Jacques Palmingers Version von „Ich mag Chopin“ („Für immer Zerstreuung“).

Ansonsten bleibt die Musik, was sie auch schon im liberalen Zeitalter fürs Bürgertum war: Soundtrack der subjektiven Innerlichkeit. Die kehrt heute als Behaglichkeit inmitten des Unwirtlichen wieder: Waldszenen, Fantasien, Volkstänze und Heimweh. Das heißt, sie ist eigentlich sowieso nicht zu retten als Kunst, weshalb sie dann wenigstens getrost von anderen Künsten in den Dienst genommen werden darf, wie eben der vernachlässigten Kochkunst.

Denn und aber: Telse Buss‘ leckere Gerüchteküche ist nicht nur Gesamtkunstkonzept, nicht nur Teil der Club Culture, sondern auch soziale Praxis; zumindest lässt sich hier bei gutem Essen und leichter Musik schwer diskutierend die nötige soziale Praxis in Angriff nehmen: Nach dem Essen sollst Du ruh‘n, oder Widerstand organisieren. Im Kochsalon gibt es keine Sofas, und die Getränke nimmt man sich selbst aus dem Kühlschrank.

Gar! Klassiker aus dem Kochsalon, Deutsche Grammophon/Universal Classics (CD); Kochsalon, Bernhard-Nocht-Str. 95, Mo–Fr ab 13 Uhr, Sa/So ab 15 Uhr, jeweils mindestens bis Mitternacht; www.kochsalon.de

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