berliner szenen Kiez statt Sozialamt

Ein Fall von Abhängigkeit

Strukturschwaches Gebiet nördliches Bötzowviertel, Prenzlauer Berg: Bis vor kurzem mussten wir unsere spontanen Getränke noch beim türkischen Vierundzwanzigstundenimbiss „Max & Moritz“ kaufen. Das war unangenehm. Die Flaschen riechen dort so nach Bratfett, dass man sein Bier aus dem Glas trinken muss. Vor Kurzem aber hat neben „Max & Moritz“ eine Filiale aufgemacht, ein Gemüse- und Getränke-Spätkauf namens „Imparator“ (!). Auch wenn das Gemüse schlapp ist, so kann man sich jetzt von Broiler und Pressfleisch erholen und auf Joghurt und Schafskäse ausweichen.

Seit dem Tag der Eröffnung sitzt im „Imparator“ eine junge, schöne, blonde Frau, die eine Miene macht, als würde sie lieber sonst wo sein. Anstatt aber nach Schicht zu gehen, sitzt sie bis in die Nacht nebenan bei „Max & Moritz“. Wir spekulieren, dass sie was mit dem Chef hat. Vielleicht ein Fall sexueller oder ökonomischer Abhängigkeit? Ob er ihr versprochen hat, sie in die Türkei mitzunehmen?

Am Anfang hatte die Frau im „Imparator“ noch eine Aushilfe, einen bärtigen Clochard, der sonst auf dem Arnswalder Platz gegenüber rumhängt. Er trug ihr die Sprudelkisten rein, räumte die Regale auf und während man sich einen Saft aussuchte, konnte einem ganz kitschig werden. Der Kiez: besser als jedes Sozialamt. Leider arbeitet der Clochard jetzt nicht mehr beim „Imparator“. Vielleicht hat es Streit gegeben. Vielleicht hat er sich in die Frau verliebt, die er, heißt es, manchmal ganz verzweifelt gefragt haben soll, ob sie abends schon was vorhat. Vielleicht hat er aber auch eine bessere Geldquelle entdeckt. Denn jetzt sieht man ihn öfter bei „Max & Moritz“ trinken – und dort ist das Bier zweifellos teurer als an der Tanke für die Parkbank. SUSANNE MESSMER