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Die Schatten der Herkunft

Mein Großvater und der Ku-Klux-Klan: Das Internationale Tanzfest Berlin hat begonnen mit Männern, die schwitzen und bluten, Männern, die sich schwarze Gesichter malen, und Frauen in rosa Samt und mit aufgenähten Haaren

Das Showtalent hat Davis Freeman von seinem Großvater geerbt. „Mr. Minstrel“ steht auf dessen Grabstein. Jetzt tanzt uns Freeman vor, wie schon sein Großvater in Savannah auf der Bühne Glück und Trauer erzeugte: mit weißen Handschuhen, aufgerissenen Augen, einem Lachen in jedem Hüpfer und schwarz angemaltem Gesicht. Aber besonders glücklich wirkt er dabei nicht. „Dann war da noch diese andere Sache“, fährt Freeman fort, „mein Großvater war Halbjude, aber er wollte nicht, dass das bekannt wurde und so trat er, um seine Herkunft zu verbergen, dem Ku-Klux-Klan bei.“ Schon zieht er sich die spitze Kapuze der Klan-Mitglieder über und taucht mit der Plötzlichkeit einer Figur aus einem Zeichentrickfilm hinter einer Kiste auf.

Freemans Solo „Mr. Minstrel“ ist harter Stoff. In der Uraufführung ist es mit einem anderen Solo von Lilia Mestre verbunden, die in einem Anzug aus rosa Samt auf die Bühne kommt, dem außen Haare aufgenäht sind, wo er Körperteile der Scham verbirgt. Die Verknüpfung ihrer Soli haben sie „Fading Fast“ genannt. Mit diesen schnell verblassenden Bildern eröffnete das „Internationale Tanzfest Berlin“ im Theater am Halleschen Ufer.

„Fading Fast“ ist noch keine überzeugende Performance; aber dennoch spürt man die Anstrengung und Notwendigkeit, sich Fragen der Herkunft zu stellen und die eigene Identität der Gefahr auszusetzen, mehr und mehr zu zerbröseln. Freeman schlägt sich dabei mit dem Schuldbewusstsein einer ganzen Generation herum, die, wie sein Vater im Video erzählt, erkennen musste, dass sie scheinheilig war und sich mit rassistischen Karikaturen amüsierte. Seine Performance beschreibt den Versuch, über Ausgrenzung zur Identität zu finden; aber zugleich gehen die Grenzen mitten durch seinen Großvater hindurch und zerteilen ihn in schwarze und weiße Schatten und einen unsichtbaren dritten Teil. Die Suche nach dem Verdrängten verbindet seine Arbeit mit der von Lilia Mestre, die aus verborgenen Begierden, versteckten Trieben ihre Bewegungssprache gewinnt. Aber erst viel zu spät lassen sich beide Performer auf einen Austausch ihrer Körperbilder ein.

„I’m guilty of being American.“ So beginnt ein zynisches Bekenntnis, dessen selbstzerstörerischem Exhibitionismus man sich nicht entziehen kann, von Davis Freeman in Meg Stuarts Stück „Alibi“. „Alibi“ ist eine Auseinandersetzung mit den selbst gemachten Ängsten und Albträumen unserer Zeit, die man nicht so schnell abschütteln kann. Die Einladung an die Schaubühne am Ende des Tanzfestes gehört zu seinen Höhepunkten.

Die Merce Cunningham Dance Company kommt in die Staatsoper Unter den Linden, um mit einem Programm die fünfzigjährige Geschichte des Choreografen zu feiern. Im Haus der Berliner Festspiele gastiert Saburo Teshigawara aus Tokio, der die Körper der Tänzer in „Luminous“ zum Leuchten bringt. Im Podewil erlebt ein neues Stück von Thomas Lehmen seine Uraufführung, für das der Choreograf aus Berlin mit drei Kollegen zusammenarbeitet, die ein von ihm geschriebenes Stück umgesetzt haben: Alle drei Fassungen werden wie ein Kanon nebeneinander gesetzt. So kann man den Begriff der Autorenschaft auch hintertreiben.

Im Hebbel-Theater lief am Eröffnungsabend „Tensions“ des kanadischen Choreografen Paul-André Fortier. Da liest man im Programmheft: „Aus ihren Poren treibt der Schweiß, und in ihren Adern pocht das Blut. Sie sind Männer, sonst nichts. Männer, die tanzen.“ Der pathetische Ton passt zu dem Stück über einen alten und einen jungen Mann, die sich mitten in einem Orkan aus elektronischen Strömen begegnen. Licht und Video flutet über sie hinweg, Schatten vergrößern heroisch ihre Körper, und die Musik von Alain Thibault setzt sie einem Druck aus wie im Inneren eines Raketenantriebs. Tanz im Atomzeitalter: Ihre Bewegungen haben etwas von exakten Verrichtungen, im Tempo gesteigert, als gälte es zu beweisen, dass der Körper mit der Informationsdichte auf Datenautobahnen mithalten kann. In seiner dekorativen Ästhetik trifft so ein Stück zwar auch den Nerv der Beschleunigung; aber es berührt kaum. Freeman und Mestre dagegen, so unbefriedigt man auch von ihrer Formfindung ist, beschäftigen einen dann doch nachhaltiger.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„Fading Fast“, heute 20.30 Uhr, Theater am Halleschen Ufer. „Tensions“, 21 Uhr, Hebbel-Theater. Merce Cunningham, 17./18. 8., 20 Uhr, Staatsoper Unter den Linden, Mitte

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