: Die ganz, ganz große Bioshow
Die „Bio-Erlebnistage“ sollen Anfang Oktober in zwölf Städten ein „mitreißendes, positives Lebensgefühl“ vermitteln und so neue Käuferschichten für Ökoprodukte erschließen. Das Event ist Bestandteil des Bundesprogramms Ökolandbau
von TILMAN VON ROHDEN
Wir sind ja schon einiges gewohnt und wundern uns kaum noch über die Kapriolen der nimmermüden Szene der kreativen Köpfe aus der Werbebranche. Kaum ein Tag vergeht, an dem sie uns nicht mit ihren Exaltiertheiten, neusten kommunikativen Strategien und Einfällen, allesamt in langen Meetings ersonnen, konfrontieren. Die Schnelligkeit des Ideenumschlags lässt nur den Schluss zu, dass in dieser Branche jeder Weg nach Rom führt – oder eben keiner. Und nun die neuste Errungenschaft: Biokommunikation.
Wir wissen natürlich längst, dass ständig Myriaden von Päckchen durch unseren Körper unterwegs sind, um ihn bei Laune zu halten. Schließlich haben Blase und Darm irgendwann den Kanal voll und wollen entleert werden. Muskeln schicken ihren Kater als Boten los, um zu signalisieren, dass sie nach Entspannung und Ruhe lechzen, und ein angstvolles Hirn fordert das Herz auf, letzte Reserven zu mobilisieren. Doch dieses solide Wissensfundament taugt nicht für den letzten Schrei der klugen Köpfe: Biokommunikation heißt „weg von kopflastigen Argumentationsmustern hin zur Vermittlung eines mitreißenden, positiven Lebensgefühls.“ Aha. Und zur Vermittlung solch bahnbrechender Einsicht gehört heuer natürlich immer ein anständiges Event, sprich: Bio-Erlebnistage.
Diese finden vom 3. bis 6. Oktober bundesweit in zwölf Städten statt. Es sei eines „der ungewöhnlichsten und aufregendsten Events des Jahres 2002“, so die grüne Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast. Sie muss das sagen, weil diese zwölf Veranstaltungen Bestandteil des von ihr initiierten Bundesprogramms Ökolandbau sind.
Zum Auftakt auf der Straße des 17. Juni sollen sich mehrere hunderttausend Besucher im Spektakel vereinen, um „die Vorzüge des ökologischen Landbaus in einer Gesamtinszenierung mit all ihren Sinnen sehen, fühlen, schmecken und sogar hören zu können. Primär soll das Lebensgefühl sowie der Genussgedanke und weniger die rationalen Argumente vermittelt werden. Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit von Bio-Produkten verbinden sich zu dem Motto: Sinn(en)reich genießen.“ So, so.
Im Mittelpunkt der Bio-Erlebnistage steht jeweils eine „Arena der Sinne“, die verschiedene Projekte unter ihrem Dach vereint: Der Biolustgarten bietet eine Leistungsschau des modernen Ökolandbaus. Stände regionaler und nationaler Produzenten, Verarbeiter und Händler bilden das Zentrum. Auf dem Öko-Campus finden Wissensvermittlung, Diskussionen und Ausstellungen rund um den Ökolandbau statt. In der Bio-Oase warten Massagen, Naturkosmetik zum Ausprobieren und anderes, um ein „positives Bio-Lebensgefühl“ zu erzeugen. Der Zeltboden der Oase ist mit Naturmaterialien ausgelegt, so dass ein „Barfuß-Gang zum sinnlichen Erlebnis“ werden soll. Die kulinarische Vielfalt direkt vom Erzeuger kommt in der Bistro-Agraria auf den Teller. Biologische Feinschmeckerei soll sich dort mit Erlebnisgastronomie verbinden. Natürlich darf unter diesen Umständen ein Showprogramm nicht fehlen. Ein buntes Programm bietet Spaß und Unterhaltung dank Künstlereinlagen und unterhaltsamer Kochshows mit mehr oder weniger beliebten Stars. Während der Kocheinlagen plaudern die Moderatoren mit den Stars über ihre Erfahrungen mit Bioprodukten und die „Bedeutung von Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit der Ernährung“. Eine breite Palette von Prominenten wie Bürgermeister, Musikstars oder Sportler sollen sich dabei für den Ökolandbau engagieren. Für die Kleinen gibt es ein Öko-Abenteuerland.
Daneben können die im vollendeten Sinnenrausch Taumelnden im Rahmen der Aktion „Deutschland isst zusammen“ an der „Deutschlandtafel“ Unter den Linden Platz nehmen. Wenn’s saugut geht, sitzen sie dann neben einem der sechzehn Länderchefs oder anderen Prominenten aus Politik, Kultur und Sport und schlemmen in trautem Tête-à-Tête das Beste, was die Bioszene zu bieten hat.
So viel Sinnlichkeit war selten. Dahinter steht die Erkenntnis der Veranstalter, dass das gute Gewissen oder gar sachliche Argumente als Kaufanreiz nicht ausreichen. Das beklagenswerte Schicksal des Dreiliterautos oder des Ökostroms würden diese These belegen. Deshalb brauche der ökologische Landbau, um nicht selbiges Unglück zu erleiden, eine „emotional hedonistisch aufgeladene Positionierung“, heißt es in einem Papier zu den Bio-Erlebnistagen. Um höhere Marktanteile zu erobern, gelte es deshalb, „den ganzheitlichen Genuss-Faktor von Bio-Produkten erlebbar zu machen.“ Nur so könne das Thema aus seiner Nische herausgeholt und „positiv aufgeladen“ werden.
Ein wenig Querulantentum gibt es auf der Megaspaßveranstaltung aber dennoch. Mitarbeiter des Zentrums für Technik und Wirtschaft an der Technischen Universität Berlin wollen mit Besucherbefragungen herausfinden, inwieweit sich durch die Emotionalisierung des ökologischen Landbaus neue Zielgruppen ansprechen lassen und welche Botschaften bei wem auf Interesse stoßen. Kaum zu fassen, wie staubtrocken manchmal Wissenschaft sein kann.
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