: Der blinde Fleck von Hartz
Den Vorschlägen der Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes fehlt jede ökologische Dimension. Mehr Arbeitsplätze wird es ohne eine höhere Ökosteuer nicht geben
Zwei Themen bewegen derzeit die Nation: die Hochwasserkatastrophe an Elbe und Donau und die Last-Minute-Initiative des Kanzlers, der Arbeitslosigkeit zu Leibe zu rücken. Merkwürdigerweise laufen die beiden Debatten über Umwelt und Arbeit völlig getrennt nebeneinanderher. Den Vorschlägen der Hartz-Kommission fehlt jede ökologische Dimension. Das ist nachvollziehbar, soweit es ihren ursprünglichen Auftrag betrifft: die Reform der Bundesanstalt für Arbeit und eine effektivere Arbeitsvermittlung. Damit allein ist der Erwerbslosigkeit aber nicht beizukommen. Die entscheidende Herausforderung an Rot-Grün ist die Verknüpfung von Beschäftigungspolitik und präventivem Umweltschutz. Das gilt insbesondere für die Fortsetzung der ökologischen Steuerreform – des einzig absehbaren Instruments, mit dem die beschäftigungsfeindlich hohen Lohnnebenkosten nachhaltig gesenkt werden können.
Die Ökosteuer wurde seit der letzten Bundestagswahl von Union und FDP wider besseres Wissen zum Schreckgespenst gemacht. In der Koalition konnte gegen eine abgeneigte SPD nur eine Version mit weit gespannten Ausnahmeregelungen für die Industrie durchgesetzt werden, die ihre Lenkungswirkung beeinträchtigen. Für den Kanzler war diese erste Stufe schon die letzte.
Einzig die Bündnisgrünen hielten die Fahne der ökologischen Steuerreform hoch, scheuten aber konkrete Festlegungen zu den nächsten Schritten, um keine neuen Angriffspunkte zu liefern. So rückte die Ökosteuer in den politischen Hintergrund, obwohl sie eine doppelte Dividende abwirft: Sie erlaubt es, die weltweit höchsten Arbeitskosten zu senken, die vor allem einer Beschäftigung gering qualifizierter Arbeitskräfte im Wege stehen. Gleichzeitig fördert sie die Einführung Energie sparender Technologien und Produkte und den Einstieg in eine nachhaltige Ökonomie. Sie wirkt damit als Innovationsfaktor in Richtung Zukunft, und zwar auf marktwirtschaftlich elegante Weise. Dabei kommt es nicht auf große Sprünge bei den Steuersätzen an, sondern auf einen langfristig angelegten, in den einzelnen Schritten durchaus moderaten Aufwuchs. Schon die von Rot-Grün beschlossene Zwergform der Ökosteuer hat zum erstmaligen Rückgang des Benzinverbrauchs in den letzten beiden Jahren und zur Senkung der CO2-Emissionen der privaten Haushalte beigetragen.
Mit den Einnahmen einer progressiv angelegten Ökosteuer lässt sich die schrittweise Abkopplung der sozialen Sicherung von den Arbeitskosten finanzieren – eine Entwicklung, die ohnehin auf mittlere Sicht durch den demografischen Wandel erzwungen wird. Das heutige System, in dem die Lohnzusatzkosten in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit noch steigen (weil wachsende Ausgaben von einer geringeren Zahl von Beitragszahlern finanziert werden müssen), ist beschäftigungspolitisch kontraproduktiv. Es wird vollends unhaltbar, wenn eine schrumpfende Zahl von Erwerbstätigen einer wachsenden Zahl von Pensionären gegenübersteht. Der Einwand, die Verwendung des Ökosteuer-Aufkommens für die Umfinanzierung der sozialen Sicherung sei eine Zweckentfremdung, sticht nicht. Ihre Lenkungswirkung vollzieht sich über die Verteuerung des Naturverbrauchs, nicht über staatliche Investitionsprogramme.
Die Zeit ist reif, die ökologische Steuerreform wieder aus dem Zwischenlager zu holen. Die Flutkatastrophe in Mitteleuropa hat der Öffentlichkeit vor Augen geführt, dass der menschengemachte Klimawandel auch die heile Welt Europas bedroht. Das ist nicht die Stunde für grüne Rechthaberei, wohl aber für Reformvorschläge, die auf die Einsichtsfähigkeit der Leute setzen und ihnen etwas abverlangen. Die Bereitschaft, Vorsorge zu treffen und bisherige Gewohnheiten in Frage zu stellen, ist gewachsen. Kluge Politik muss jetzt kurzfristige Hilfe mit vorausschauenden Reformen verbinden. Dass man dafür auch Unternehmen gewinnen kann, zeigt die Initiative von 170 internationalen Konzernen, die sich zusammengeschlossen haben, um für den „Geist von Kioto“ zu werben und die Ratifizierung des Klimaschutz-Protokolls voranzubringen. Bemerkenswert ist, dass dazu auch die Ölmultis BP und Shell gehören, die sich längst auf eine Zukunft jenseits von Kohle und Öl vorbereiten.
Die Vorschläge der Hartz-Kommission zielen vor allem darauf, wie die Erwerbslosen effektiver in Arbeit gebracht werden können. Das ist nicht verkehrt, aber zu kurz gesprungen. In der öffentlichen Diskussion wird manchmal der Eindruck erweckt, als seien die Erwerbslosen selbst das entscheidende Hindernis bei der Überwindung der Arbeitslosigkeit: Sie seien nicht qualifiziert und flexibel genug, hätten übertriebene Ansprüche und ruhten sich in der sozialen Hängematte aus. Für all das gibt es sicher Beispiele, und nicht jeder Vorschlag, wie Arbeitslose besser motiviert werden können, offene Stellen anzutreten, verstößt gegen die Menschenwürde. Wer aber die Arbeitslosenzahlen halbieren will, muss vor allem die Frage beantworten, wie mehr Beschäftigung entstehen kann. Um diesem Ziel näher zu kommen, müssen Steuer- und Sozialpolitik, Arbeitsrecht und Bildungspolitik auf den Prüfstand gestellt werden.
Mit der Förderung von Existenzgründungen aus der Erwerbslosigkeit heraus, der Anerkennung von Leiharbeit als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt und der Aufstockung der Verdienstgrenze für geringfügige Beschäftigung (wenn auch nur im Haushaltsbereich) geht die Hartz-Kommission vorsichtige Schritte in Richtung Flexibilisierung. In einigen Punkten ist das eine Revision der bisherigen Regierungspolitik. Es ist allerdings sozialpolitisch fragwürdig und bringt beschäftigungspolitisch nicht viel, vor allem von den Arbeitslosen größere Anpassungsleistungen zu verlangen, während das in Jahrzehnten gewachsene Regelungsdickicht des ersten Arbeitsmarkts, das die Kosten hochtreibt und die Schaffung von Arbeitsplätzen behindert, ein Tabu bleibt.
Keine noch so erfolgreiche Beschäftigungspolitik wird auf absehbare Zeit „Vollbeschäftigung“ herstellen. Deshalb sollte auch die Frage nach der Umverteilung der Erwerbsarbeit nicht ad acta gelegt werden, obwohl die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung zurzeit keine Konjunktur hat. Stärkere steuerliche und rentenrechtliche Förderung von Teilzeitarbeit, von Sabbaticals und Jobsharing-Modellen sind unverzichtbar, wenn die Spaltung zwischen Überbeschäftigten und Ausgeschlossenen überwunden werden soll.
Die Vorschläge der Hartz-Kommission bringen wieder Bewegung in die parteipolitisch und gesellschaftlich blockierte Arbeitspolitik. Für ein Gesamtkonzept gegen die Erwerbslosigkeit sind sie aber zu eng gefasst, und sie haben ausgerechnet an dem Punkt einen blinden Fleck, an dem sich beschäftigungs- und umweltpolitisch die größte Hebelwirkung erzielen ließe: der Verknüpfung einer durchgreifenden Senkung der Lohnnebenkosten mit der Verteuerung des Naturverbrauchs. RALF FÜCKS
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