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Die verdrückte Talk-Drüse

Im Altenzentrum des deutschen Fernsehens: zu Besuch bei Johannes B. Kerner

Euphorisch kreischen die Omis und bilden eine Gasse, durch die nun „ihr“ Johannes jazzt

Sie nennen ihn die Talk-Drüse, den Mister Hunderttausendsassa, die Arschgeige vom Dienst: Johannes B. Kerner, das Dutzendgesicht vom ZDF, Deutschlands telegenste Quarktasche, ist jetzt wieder täglich auf Sendung. Kerner ist der Quoten-King, die Knallcharge, der Quergeldenker. Ein Lausbub wie aus dem Schwiegermütterkatalog, der supernette Johannes von nebenan, ein durch und durch witziger Typ. Auch im „Aktuellen Sportstudio“ eine ganz komische Kanone. Was will der Mann eigentlich noch mehr? Wir haben mal nachgefragt und ihn besucht.

Noch läuft drüben im Studio Hamburg die Aufzeichnung der aktuellen „Johannes B. Kerner Show“. Derweil haben sich vor der Kerner-Umkleide schon an die 100, überwiegend weibliche Fans versammelt; wie immer hat sie der Altenpflegedienst des ZDF eigens hergekarrt. Eines der „Mädels“, wie Kerner seine Groupies gern nennt, hockt stumm in ihrem Rollstuhl. Ein anderes ist im Stehen eingenickt. Es müffelt wie nach 2.000 Liter Kölnisch Kerosin – knapp kalkuliert. Jüngstes Kerner-Groupie ist heute Annegret P., 73. Sie trägt nach eigenen Angaben „nichts drüber“.

Dann endlich ist die JBK-Show aus und vorbei. Schon kommt der agile Talkmaster in den Garderobentrakt gesteppt: „Hallihallo, ich bin’s, der nette Herr Kerner“, gibt sich der TV-Schlacks gewohnt offen und herzlich. Die Omis kreischen vor Euphorie, haben eine Gasse gebildet, durch die nun „ihr“ Johannes jazzt. Hier eine altersmorsche Hand küssend, dort eine Hängewange tätschelnd, schäkert er sich durch das Spalier der Treuesten der Treuen. Die reißen sich auswurffarbene Stützstrümpfe von den Schenkeln, bewerfen ihn mit großen parfümierten Liebestötern. Erotik pur! Schon können die ersten ihr Tränenwasser nicht mehr halten.

Endlich hat der Night-Talker seine Umkleide erreicht. „Immer nur so alte Mädels, die was von mir wollen“, schimpft er scherzhaft. Da ist es wieder, dieses verschmitzte Zwieback-Grinsen. Kerners Markenzeichen.

„Muss mal dringend für kleine Late-Talker“, verzieht er sich dann schmunzelnd in den Nassbereich. Anders als in der Boulevardpresse bisher vermutet, pullert Kerner im Stehen. Ich schaue mich unterdessen in seiner Umkleide um. Überall liegen gut dotierte Verträge. An der Wand hängen Kerners Traumquoten und der Oscar, den er gern hätte.

Ohne anzuklopfen tritt plötzlich ein: Kai Diekmann, Chefredakteur der Bild-Zeitung. Er herrscht mich an: „Wo ist die Pfeife?“ Ich deute wortlos zur Badezimmertür. Schon ist der bullige Blattmacher im Bad verschwunden. „Meine ausgezeichneten Pressekontakte pflegen“, wird Kerner hinterher nennen, was Diekmann dann in der nächsten Viertelstunde mit ihm anstellt. Ehe es noch dieker kommt, ziehe ich mich diskret zurück und rauche auf dem Gang eine Zigarette.

Eine halbe Stunde später. Kerner nimmt mich mit zu seinem Lieblingsitaliener: das „Rucki-Zucki“ in Hamburg-Fasel. Was sein Lieblingsessen ist, will ich von dem Erfolgs-Talker wissen. „Junges Gemüse, ganz klar.“ Ich lache pflichtschludrig, hake gleich mit der nächsten Frage nach: Lieber Hund oder Katze? „Sowohl als auch.“ Wovon er träumt? „Die leeren Flaschen mal nicht nach Farben getrennt in den Altglascontainer werfen, ein frühes Tor für Deutschland schießen und eine Sondersendung machen mit meinem Namensvetter Johannes Rau.“

Apropos Rau: Ein Gehirnamputierter tritt plötzlich an unseren Tisch. Kerner lädt ihn spontan ein als Gast in seine nächste Sendung. „Mit dem mach ich ein ganz einfühlsames Gespräch“, freut sich der Vollmilch-Journalist, bestellt dann schon mal telefonisch die Einschaltquote für morgen: „21 Prozent, gebongt.“ Ich salutiere ob so viel Professionalität. Dann muss Kerner leider los. Zur Torschrei-Therapie: „Mein Torschrei bei der WM kam irgendwie zu klemmig.“ Wo er Recht hat …

Ob er der Menschheit noch was mitzuteilen hat, frage ich Johannes B. Kerner zum Abschied. „Aber hallo, na klaro!“ Und zwar? „Nach der Show ist vor der Show.“ Und? „Die nächste Sendung ist immer die schwerste.“ Sonst noch was? „Der Star ist die Mannschaft.“ Keine weiteren Fragen. „Herr Tietz. Ich danke für das Gespräch.“ FRITZ TIETZ

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