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Gleichbehandlung in Zeiten der Krise

Bei der „Frankfurter Rundschau“ wurden vorgestern die ersten betriebsbedingten Kündigungen verschickt. Die Bemühungen, die Stellen zu retten, laufen. Doch was, wenn 2003, wie befürchtet, eine neue Kündigungswelle droht

Bei der Frankfurter Rundschau schwirren seit Wochen Horrorgerüchte durchs Haus – und manche davon dringen nach außen. So meldete die Zeit vergangenen Donnerstag, dass sich mehrere Banken zu einem „Stützungsfonds“ zusammengeschlossen hätten, um der wirtschaftlich angeschlagenen FR unter die Arme zu greifen. Das wurde zwar von Verlagsleiter Utz Grimmer dementiert, doch die Verunsicherung ist groß. Kein Wunder, der Rückgang im Anzeigengeschäft, von dem alle Zeitungen betroffen sind, liegt bei 20 bis 30 Prozent. Das zwingt zu Sparmaßnahmen – auch der außerordentlichen Art.

Zunächst mal aber hat die FR einen Kredit aufnehmen müssen, der zumindest insoweit ungewöhnlich ist, als er den laufenden Betrieb sichern soll. Als Sicherheit hierfür dienen Teile ihres Grundstücks. Ein Redakteur vermutet, dass die Kreditvergabe mit der Auflage verbunden ist, „Strukturreformen“ durchzuführen. Im Klartext: Personal soll abgebaut werden.

Und das geschieht auch. So wurden vorgestern 50 Kündigungsschreiben verschickt – acht davon gingen an Redaktionsmitglieder. Wie man aus der Redaktion hört, bilde eine Liste mit „Sozialpunkten“ die Grundlage für den ausgearbeiteten Sozialplan: Je älter, je länger im Betrieb und je mehr Kinder, desto mehr Punkte. Junge und obendrein kinderlose Mitarbeiter landen dagegen zwangsläufig ganz vorne auf der Entlassungsliste.

Das Verfahren nach „Sozialpunkten“ ist so normal wie unbefriedigend, denn es führt direkt in ein gefährliches Dilemma: Eines der großen Probleme für Tageszeitungen liegt darin, dass die Zahl der jungen Leser stagniert oder rückläufig ist. Eine sinkende Zahl junger Autoren dürfte diesen Trend nur noch verstärken.

Das sehen auch viele FR-Mitarbeiter so, auch wenn sich niemand offiziell dazu äußern mag. Doch so viel ist zu erfahren: Betriebsrat, Geschäftsleitung und vor allem ein erst im Aufbau befindlicher Redaktionsbeirat sollen derzeit heiß diskutieren, wie sich die im Sozialplan vorgesehene Solidaritätskomponente konkretisieren lässt. Die Grundidee sei, durch den Verzicht auf Lohn und eine entsprechend kürzere Arbeitszeit, die zum 2. September ausgesprochenen und zum Jahresende wirksam werdenden Kündigungen zu kompensieren.

Auch der Portier

Es soll im Wesentlichen drei Modelle geben, die diskutiert werden. Das erste Szenario sehe vor, dass die gesamte Belegschaft vom Portier bis zum Geschäftsführer auf fünf Prozent Lohn verzichtet und entsprechend weniger arbeitet (12 Tage pro Jahr). Allerdings müssten dieser Lösung zwei Drittel aller Mitarbeiter zustimmen, bevor der geltende Tarifvertrag durch einen Haustarif ersetzt werden kann. Mehrere Redaktionsmitglieder rechnen aber mit einer qualifizierten Mehrheit.

Ein anderes diskutiertes Modell überlasse es den einzelnen Betriebsteilen, autonom nach Lösungen zu suchen, um Entlassungen zu vermeiden, heißt es. Für den redaktionellen Teil würde das bedeuten, dass die Redaktionsmitglieder durch Lohnverzicht acht Stellen retten müssten, was neben einer höheren Belastung für den Einzelnen wohl auch arbeitstechnische Probleme mit sich brächte.

Der dritte Plan sehe vor, dass jeder einzelne Bereich so viel einspart, dass die Gesamtzahl der Stellen erhalten bleibt. Eine Lösung, die insbesondere für kleinere Betriebsteile schwer realisierbar ist.

Wie ein Redakteur sagte, habe eine konsultative Umfrage unter den 220 Redaktionsmitgliedern eine klare Mehrheit für den ersten Plan ergeben. Auch Betriebsrat Viktor Kalla ist zuversichtlich, dass es in den nichtredaktionellen Betriebsteilen gelingt, für die solidarische Umverteilung eine Zweidrittelmehrheit zu gewinnen.

Ungewissheit bereitet der Zeithorizont. Wie viel ist die solidarische Lösung wert, wenn – wie ein Redakteur vermutet – Ende 2003 eine zweite Kündigungswelle folgt? Und alte Hasen bei der Frankfurter Rundschau wundern sich, dass jetzt plötzlich so viel von Solidarität geredet wird. Als im Zuge der technologischen Revolution im Druckgewerbe in den 80er-Jahren zahlreiche Drucker, Setzer, Metteure und andere Mitarbeiter bei der Zeitungsherstellung „überflüssig“ wurden, hielt sich der Aufschrei in der Redaktion in Grenzen. RUDOLF WALTHER

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