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Studiengebühren sind nicht unsozial

Die Republik beginnt sich wieder um den Zusammenhang von Bildung und Geld zu streiten. Endlich. Bevor sich wieder altbekannte Streitlager bilden, lohnt ein Blick in Christoph Ehmanns (SPD) Vademecum der Bildungsfinanzierung

„Dass der Zusammenhang von Bildung und sozialer Schichtung derartig ausgeprägt ist, überrascht umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass Deutschland (…) eines der wenigen Länder ist, in denen für den gesamten Schulbesuch in der Regel keine Gebühren für die Eltern anfallen und auch das Entgelt für ein anschließendes Studium äußerst moderat bemessen ist.“

Die Autoren der Shell-Studie wundern sich. Was ist das für ein rätselhafter Zusammenhang, dass Bildung hierzulande umsonst zu haben ist – und der Erfolg trotzdem extrem vom Geldbeutel der Eltern abhängt?

Aber nicht allein die Shell-Jugendforscher sind irritiert. Seit die internationale Schülerstudie Pisa gezeigt hat, dass Deutschland extrem viele Bildungsverlierer produziert, wird immer öfter die Frage nach dem Einfluss des Geldes auf den Geist gestellt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) etwa wird kommende Woche bei ihrer Sommerschule über nichts anderes als über „Bildung als Ware“ diskutieren – mit hochkarätigen Referenten.

Sozialstaats-Guru Stephan Leibfried von der Uni Bremen spricht über den Zusammenbruch des wohlfahrtsstaatlichen Paradigmas, der alternative Wirtschaftsweise Rudolf Hickel über den Zusammenbruch der Steuereinnahmen. Auch die neoliberale Seite ist vertreten: Stifterverbandschef Manfred Erhardt plädiert für privates Engagement, der Uni-Modernisierer Detlef Müller-Böling von der Bertelsmann-Stiftung für „Leistungsorientierung“. Es wird neue Schlachten zwischen „links“ und „rechts“ geben. Dabei liegt die Antwort weder hier noch da. Das zeigt ein Blick in die Bibel des Themas, Christoph Ehmanns „Bildungsfinanzierung und soziale Gerechtigkeit“. Der Autor, ein Sozialdemokrat, würde sich gewiss als Linken bezeichnen; aber sein Büchlein räumt eine Reihe eherner Axiome genau dieser Linken ab. Zum Beispiel dieses: Studiengebühren sind unsozial.

Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen: Ehmann ist kein neoliberaler Scharfmacher. Er sagt erfreulicherweise nicht, wie so viele andere, dass die Einführung allgemeiner Studiengebühren das Heil über die Bildungsrepublik brächte. „Wir müssen endlich im Zusammenhang denken“, ist seine Grundforderung. Das heißt bei ihm: Die Kindergartengebühren sind der Sündenfall der angeblich kostenfreien Bildung überhaupt – sie müssen dringend weg. Und erst dann kommt bei Ehmann die Option auf Studiengebühren – und zwar für die gut betuchte Bevölkerung der Hochschulen. Ob sich Ehmanns vier Eckpfeiler einer neuen Bildungsfinanzierung politisch auf einen Schlag durchsetzen ließen, ist eine andere Frage.

Sein Buch ist da am spannendsten, wo es um den letzten Punkt geht, der Studis heutzutage noch auf die Straße treibt: Die Einführung von Studiengebühren. Ehmanns Fazit lautet: „Die Abschaffung von Studiengebühren [im Jahr 1970] hat zur sozialen Gerechtigkeit und zur Öffnung der Hochschulen nichts beigetragen.“ Und warum nicht? – Diese Frage beantwortet der Autor mit einer genauen historischen Genese von Gebühren und ihrer Funktion.

Denn es war nicht die Aufhebung der – aus heutiger Sicht maßvollen – Gebühren von 25 Mark je Monat im Jahr 1970, der den Zugang von Arbeiterkindern an die Unis verbesserte, es war die Einführung des Bafög. Doch dann setzte schon bald ein fiskalischer Effekt ein: Die öffentlichen Haushalte gerieten unter Druck, man sparte das sukzessive Bafög wieder klein – und die Chancen der Unterschichtler.

Hinzu kommen andere Momente: Mit dem Wegfall der Gebühren entfiel auch die lehrleistungsorientierte Bezahlung der Professoren. Das heißt, die Profs hatten kein Interesse an Lehre – sie setzten „die drastische Verringerung ihrer nunmehr nicht mehr geldbringenden Lehrbelastung durch“. Mit anderen Worten: der Numerus Clausus florierte. Unter NC-Bedingungen aber gewinnen Vorteile der Bildungsherkunft, also akademisch gebildete Eltern an Bedeutung. Die schleusen ihre Kinder zielsicher durch die dreigliedrige Schule Richtung Abi und Hochschule – während die bildungsfernen Schichten zurückbleiben.

Es gibt also einen Zusammenhang zwischen bezahlter frühkindlicher Bildung, einem scharf gegliederten Schulsystem und Gebührenfreiheit an Hochschulen. Er sorgt für die rätselhafte Ungerechtigkeit des Bildungssystems. Es wird Zeit, ihn zu durchschauen. CHRISTIAN FÜLLER

Christoph Ehmann, „Bildungsfinanzierung und soziale Gerechtigkeit: vom Kindergarten bis zur Weiterbildung“. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, 2001.

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