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Wurstbrote gegen das Wasser

Lauenburg zwischen Happening und Resignation: Man wartet auf das Vorüberziehen der Flut, die Hilfsbereitschaft ist groß. Die Elbstraße wurde bereits gestern evakuiert. Das Hochwasser der Elbe ist allerdings wohl etwas niedriger als befürchtet

von HEIKE DIERBACH

Arne findet Flut voll doof. Aber wenigstens kann er seine Matchbox-Autos mitnehmen zur Oma, über 50 Stück. Der 9-Jährige wohnt an sich wunderschön in der Lauenburger Elbstraße. Nur liegt sein Haus auf 9 Meter 35 über Normal Null. Die Flutwelle am Freitag soll 9 Meter 65 auflaufen: Gestern ab 11 Uhr morgens wurde die Elbstraße evakuiert. In den Sonderbus, der durch dieStraße führt, steigt kaum jemand ein, die meisten haben sich schon mit dem eigenen Auto auf den Weg gemacht zu Oma, Bruder oder Freunden. Zurück bleiben die mittelalterlichen Häuser, alle mit einem Bart aus Sandsäcken. In den Gassen zur Elbe hinunter lauert das Wasser. An einer Gartenpforte leckt es schon.

Die Stadt Lauenburg hat einen Plan ausgehängt, auf dem jeder ablesen kann, auf welcher Höhe sein Haus liegt. Kai Herrenbrück hat beschlossen, dass seine Hochparterre-Wohnung sicher ist: Er will bleiben. „Genug Kartuschen für den Gaskocher habe ich, die Akkus fürs Handy sind auch aufgeladen.“ Den Badewannenstöpsel hat er mit einer Latte unter der Decke festgeklemmt. Herrenbrück hat keine Angst vorm Wasser. „So blöd es klingt, das Ganze hat auch positive Effekte.“ Bislang habe es immer eineTeilung gegeben in eingeborene Lauenburger und Zugereiste, „die verschwimmt jetzt total“. Schlimm findet er nur die Gaffer. Am vorigen Wochenende hat ihn einer gefragt, ob er es „in Ordnung findet, dass die Sandsäcke die Fußwege blockieren“.

Auch Anke Gabriele, Wirtin vom Restaurant „Zum Rufer“, will bleiben, „bis das Wasser auf die Promenade schwappt“. Das kann sie auch – bislang ist die Evakuierung freiwillig. Ihr ganzes Restaurant-Mobiliar hat sie schon in die Oberstadt gebracht zu Freunden, Vermieterin, Verwandten: „Ich weiß schon gar nicht mehr, wo ich alles Sachen stehen hab.“ Die große Eistheke steht jetzt auf vier Bierfässern. Gabriele hofft noch: „Wir brauchen nur 35 Zentimeter weniger, dann wären wir gerettet.“ Dann müsste sie nicht das ganze Parkett rausreißen, den Teppich und die Täfelung in der Gaststube.

Nebenan laden zwei Männer Sonnenschirme in den Transporter von „Eisen-Heinrich“. „Kostenloser Fluthilfetransport“ steht auf einem Zettel an der Beifahrertür. Meister Heinrich hat keine Zeit zum Reden, „die Schirme müssen zum Deich hoch für die Leute vom Roten Kreuz“.

Der Deich schützt das Lauenburger Industriegebiet östlich von der Altstadt vor dem Wasser. Zwar ist er schon gut mit Folie und Sandsäcken versorgt worden. Dennoch werden auf dem nahe gelegenen Parkplatz vom Restaurant „Zur Palmschleuse“ – sonst „Nur für Gäste“ – Tausende weiterer Säcke befüllt, als Vorrat.

Es ist halb drei, auf dem Platz gibt es nicht den geringsten Schatten. Johanna und Lukas haben sich für eine kurze Pause auf ein paar Euro-Paletten gesetzt. Die beiden Zehntklässler aus der Gesamtschule Stellingen sind mit zehn MitschülerInnen gekommen. Ihre Lehrer Jörg Dembeck und Wolfgang Kock haben das organisiert. „Was gibt es Besseres, als in der Gruppe sinnvolle Arbeit zu tun?“, sagt Dembeck. Worauf Johanna betont, „dass wir Teamgeist schon in der Schule gelernt haben. Hier ist nur die Probe, und die haben wir bestanden.“ Bevor sie sich wieder einen Sack greift, fällt ihr noch ein: „Und Schill, der tut gar nix!“

Am Klärwerk direkt vor demDeich werden noch Sandsäcke gebraucht: Wasser sprudelt aus den Kanaldeckeln. „Das ist das Grundwasser, das nach oben gedrückt wird“, erklärt ein Feuerwehrmann. Er drückt mit Sandsäcken zurück. Denn sonst würde das Elbwasser unter dem Deich durchfließen und dabei Sand mit landeinwärts nehmen.

Zwischen Klärwerk und Deich zieht sich eine Schotterstraße. Sie wurde extra für die Anlieferung der Sandsäcke neu gebaut. Hier stehen Rita Nawrot und Siegfried Kroll mit ihrem Van, die Heckklappe geöffnet. „Wollen Sie einen Kaffee?“, rufen sie herüber. Und vielleicht auch ein Wurstbrot? „Na, nehmen Sie schon! Die Helfer sind schon alle satt.“ Aus Adendorf bei Lüneburg sind die zwei herübergekommen. Der örtliche Bäcker hat das Brot gestiftet, Edeka den Aufschnitt, Lünebest die Joghurts und die NachbarInnen die Thermoskannen mit Kaffee. Gestern waren sie schon da, morgen kommen sie wieder. Und verteilen Wurstbrote gegen das Wasser.

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