: One-Night-Stands mit Video
Die Galerie Expo 3000 wurde mit Ausstellungen für einen Abend bekannt. Eine Auswahl der über 150 Künstler ist im Kunstraum Bethanien zu sehen
Immer donnerstags lud die Projektgalerie „Expo 3000“ in Friedrichshain für ihre Ausstellungen junge Künstler aus aller Welt ein. Die Arbeiten waren aber meistens nur einen Abend lang zu sehen. Durch den ständigen Wechsel bot die Galerie in fast drei Jahren rund 150 bildenden Künstlern ein Forum inklusive Netzwerkanbindung. Weil Ausstellungen in einem solchen Rhythmus schlauchen, hat Spunk Seipel seine Galerie vor zwei Monaten geschlossen. Im heimischen Landshut schreibt er an seiner Magisterarbeit in Kunstgeschichte und will danach auch in München oder Wien sein Konzept des Kunst-One-Night-Stand etablieren. Nächstes Jahr kommt Seipel zurück nach Berlin, eine Galerie mit normalem Ausstellungsbetrieb ist sein Traum.
Die deutsche Hauptstadt ist bei allem Rummel um Biennalen und trendige Institutionen für internationale Jungkünstler nur eine Station von vielen. Auch die Expo-3000-Aussteller kamen aus den USA, Japan oder England und leben meist längst wieder woanders. „Station“ ist deshalb der passende Titel für die momentane Präsentation im Kunstraum Kreuzberg im Künstlerhaus Bethanien, die einen Überblick zu den künstlerischen Positionen der Galerie vermittelt. 21 Künstler sind vertreten, dabei ist eine Vorliebe des Talente-Scouts Spunk Seipel für Installationen unverkennbar, aber auch Videoarbeiten, Malerei und andere Genres sind zu sehen.
Vicky Martini stickte einen „Spaziergang im Winter“ mit bunter Wolle nach Art eines Comicstrips. Kristofer Paetau kommentiert mit über 500 Bildern von Elvis-Imitatoren die Auswüchse der popheiligen Verehrung eines Idols. Mit der Monotonie moderner Architektur beschäftigt sich Matthieu Husser, wenn er die Negativform vom Modell eines Straßburger Stadtviertels konstruiert, dessen gesamte Fläche von einem monströsen Wohnblock aus den Siebzigerjahren dominiert wird.
Fred Bouchet und Raphael Grisey aus Frankreich haben sich der deutschen Geschichte anhand Berliner Denkmäler genähert. Ihre raumgreifende Installation „Berliner Schatten“ vereint Fotografie, Malerei und Möbelbau auf spielerische Weise und illustriert den Umgang mit historischem Material. Honecker in Öl blickt vom Staatsratsgebäude auf den Dom. Eine Leinwand weiter bauen Soldaten die Mauer. Das einst riesige Lenin-Denkmal in Friedrichshain ist dagegen längst geschliffen und bei den Jungkünstlern zu einem kaum zu deutenden Tonklumpen verkommen. Die Skulptur steht auf einer Holzplatte mit den Umrissen des Eingangs von Sachsenhausen – der Begriff des Schreibtischtäters ist ebenso schnell wie zwangsläufig assoziiert.
Auch Yannick Mauny lenkt mit seiner Rauminstallation „Die große Reise“ den Blick aufs Thema Mittäterschaft. Auf zwei Leuchtkästen ist „De Moscou“ sowie „ … and Jerusalem“ zu lesen. Super-8-Loops zeigen die Fahrtstrecke sowie das Innere eines Kleinbusses mit einem Fahrgast, der Landkarten studiert. Die Irritation ist perfekt: In einer Ecke des Raumes hängt ein Atlasausriss. Irgendwo in der französischen Pampa liegen die kleinen Orte Moscou und Jerusalem tatsächlich dicht beieinander. Mit der Wahrnehmung spielt auch Thomas Lannes. Der Pariser fragt nach den Möglichkeiten realistischer Wiedergabe durch Fotografie und setzte dafür eine Dachlandschaft aus Einzelteilen zu einem überdimensionalen Puzzle im Maßstab eins zu eins zusammen. Gänzlich in die Irre führt Michaela Luxenberger mit ihren Fotografien, die augenscheinlich Teile menschlichen Fleisches zeigen. Handelt es sich um OP-Bilder, einen Beitrag zur Gen-Debatte oder irgendeinen Fetisch? Alles falsch. Die in Berlin lebende Österreicherin hat feuchte Tonformen im Detail aufgenommen. So leicht lassen sich mediengestählte Menschen von heute ins Bockshorn jagen.
ANDREAS HERGETH
Bis 1. 9., Dienstag bis Sonntag 14 – 19 Uhr, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2
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