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Nur die Urne war Zeuge

Sheriff Schröder und Edi „the“ Stoiber auf dem Weg zum letzten Duell

High Noon. Wahltag. Showdown unter den Linden am Brunnen vor dem Brandenburger Tor

Soweit das Auge reicht ödes, staubiges Land. Bis zum Horizont ausgedörrte Landschaften, Industrieruinen, heruntergekommene Bauernhöfe. Ein paar halb verfallene Bruchbuden, das ist das einst so stolze Germantown. Verzweifelte Menschen betteln um ihr tägliches Brot, angetrunkene, ausgemergelte Gestalten umlagern die einzige, schmuddelige Imbissbude – die letzte Hoffnung liegt in der nächsten Dose Radeberger Pils.

Die einst blühenden Landschaften wurden heruntergewirtschaftet von Sheriff Schröder und seinen Spießgesellen. Seit vier Jahren regiert der Mann, den sie „El Gerd“ nennen, Germantown mit ruhiger und eiserner Hand. Sein Gesetzbuch ist der Colt, sein Regiment auf scharfe Kante genäht. Längst hat Schröder sich zum Büttel der ostelbischen Rancher und Viehbarone gemacht. Und für eine Handvoll Subventionen glaubt er auch die anstehende Sheriffwahl gewinnen und sein Schreckensregime fortführen zu können. Doch die Wiederwahl ist noch lange nicht eingesargt, denn aus dem Süden naht Ungemach …

Sein Widersacher ist Edi „the“ Stoiber, der starke Mann vom Fuß der weiß-blauen Berge. Als Treckführer einer riesigen Rinderherde ist er nach Norden gezogen. Dort erhofft er sich saftige Weidegründe. Doch als er sich mit seiner Kompetenzschwadron Germantown nähert, wird er von Sheriff Schröders Schergen gestoppt. Sie verweigern ihm das Durchzugsrecht zu den fetten Auen Mecklenburgs.

Aber so leicht lässt Stoiber sich nicht von seinem Ziel wegpommern. Er kennt alle Schliche und Tricks, nicht umsonst pflastern Akten seinen Weg. Und dann hat er auch noch seine Männer fürs Grobe – Fuzzy Huber und Tom Goppel sind versierte Reisende in Sachen Blei. Sie kennen kein Pardon: Wer sich ihnen in den Weg stellt, wird gnadenlos beiseite geräumt. Notfalls durch einen BMW, einen „Bumms mit Wumme“.

Der begnadete Volkstribun Stoiber spürt die Unzufriedenheit der verzweifelten Bürger von Germantown und tritt bei den Wahlen gegen den Sheriff an. Vor der Wahl kommt es zu Einschüchterung, Erpressung, Stimmenkauf. Eddi verspricht den nach einem Befreier gierenden Bewohnern das Blaue vom Himmel, Schröder dagegen setzt ganz auf den Sheriff-Bonus.

12 Uhr mittags, High Noon, Wahltag … Showdown unter den Linden am Brunnen vor dem Brandenburger Tor. Flirrende Hitze liegt über Germantown, es ist gespenstisch ruhig. Die Bürger haben sich in ihre Häuser zurückgezogen und beobachten aus sicherer Distanz, wie Sheriff Schröder und sein Herausforderer Stoiber Aufstellung nehmen zum finalen Urnengang.

Die Spannung steigt ins Unerträgliche, als Schröder aus dem schützenden Schatten der Sheriff-Bude in das gleißende Licht der Septembersonne tritt. Auch Stoiber kommt aus seiner Deckung. Mit langsamen Schritten gehen die beiden Männer auf die zwischen ihnen, in der neuen Mitte stehende Urne zu. Noch hat keiner der beiden den Wahlschein gezogen, aber zitternd schweben ihre Hände schon über den Formularen, jeder wartet darauf, dass der andere zuerst den Zettel zieht …

Da fällt ein Schuss. Von einem Hinterbänkler getroffen, sinkt Stoiber in den Staub. Ein zweiter Knall. Auch Sheriff Schröder taumelt, gefällt von einem destruktiven Misstrauensvotum aus einer Winchester, zu Boden. Langsam treten Friedensrichter Rau, Doc Struck und Fuzzy Huber zu den Verwundeten. Beide röcheln im Staub, aber sie leben noch. Mit letzter Kraft hebt Stoiber seine Stimme: „Spielt mir das Lied vom Glos!“ Die nervenzerfetzende Wahlkampfmelodie setzt ein, Greg Gysi, der Totengräber, greift zu seiner Schaufel …

RÜDIGER KIND

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