: Bürger bemängeln Warnsysteme
Zum Katastrophenschutz in Sachsen gibt es schon jetzt viele bohrende Fragen. Manche Betroffene hätten bei rechtzeitiger Warnung mehr Hab und Gut retten können. 100 Opfer in Grimma bereiten Sammelklage gegen das Land Sachsen vor
aus Dresden MICHAEL BARTSCH
„Für Manöverkritik ist es jetzt noch zu früh“, wehrte Sachsens Ministerpräsident Milbradt knapp eine Woche nach Beginn der Flutkatastrophe Fragen nach dem Krisenmanagement insbesondere in der Landeshauptstadt Dresden ab. Doch die Flut hat nicht nur fahrlässige Flussverbauungen offenbart und in den beiden sächsischen Gemeinden Gruna bei Eilenburg und Dohna bei Pirna überforderte Bürgermeister aus dem Amt gespült.
An welche Unglücksorte man in Sachsen auch gelangt, überall stehen die Talsperrenbewirtschaftung und vor allem das Katastrophenwarnsystem unter heftiger Kritik. Bürgermeister Gerd Mättig verlangte im Namen der Bürger der Stadt Freital bei Dresden Aufklärung von den Landesbehörden. In Grimma bereiten Anwälte derzeit eine Sammelklage von etwa 100 Flutopfern gegen das Land vor.
Früher oder später hätten jedoch alle Talsperren vor dem ungeheuren Zufluss kapitulieren müssen, rechtfertigt sich Hans-Jürgen Glaseberg, Chef der Sächsischen Talsperrenverwaltung. „Das ist, als wenn sich ein Elefant in die Badewanne setzt.“ Außerdem dürften einige Talsperren gar nicht vollständig geleert werden, weil sie als Trinkwasserspeicher benötigt würden. Für die völlig überraschten Bewohner im Einzugsgebiet der Erzgebirgsflüsse aber hätte es schon einen Unterschied gemacht, ob sie ohne jede Warnung oder doch ein wenig später von den Wassermassen ereilt worden wären.
Was auch nur eine Stunde Schonfrist ausmachen kann, zeigt das Beispiel eines Baunternehmers, der namentlich nicht genannt sein möchte. Sein Betrieb liegt kaum einen Kilometer vom Auslauf der Talsperre Klingenberg entfernt. Das Überlaufen dieser Sperre in der Nacht zum Dienstag vor einer Woche hatte die riesigen Schäden im Tal der Weißeritz und besonders in Dresden zur Folge.
„Hau ab, in einer Stunde musst du weg sein!“, habe ihm gegen 22 Uhr einer der drei Talsperrenmeister, den er persönlich gut kennt, am Telefon gesagt. In aller Eile wurden der Passat und zwei Kleintransporter mit Persönlichem, aber auch mit einem Notstromaggregat und teuren Investitionsgütern bepackt und auf den Berg gefahren. Ein halbe Stunde nach Mitternacht kam das Wasser.
Die Bewohner der ehemaligen Mühle wenige hundert Meter flussabwärts wurden nicht gewarnt. Bei zwei besorgten Anrufen in der Talsperrenmeisterei prognostizierte man ihnen am Montag noch eine Zeitreserve von 23, später nur noch 10 Stunden bis zum Überlauf. Fest steht, dass das Wasser in der Klingenberger Talsperre schon am Sonntagabend nach Angaben von Augenzeugen nur noch vier Meter unter der Dammkrone stand.
Es gibt noch weiteren Anlass zum Unmut: Eine zentrale Anweisung zum vorsorglichen Ablass der Talsperre Malter wurde nach Insiderinformationen wegen eines Festes an der Sperre erst ab Sonntagmorgen befolgt. Klaus Jeschke vom Sächsischen Umweltministerium dementiert jedoch ein weit verbreitetes Gerücht, wonach Trinkwasser über die Versorgung von Dresden und Freital hinaus weiter verkauft werde, weshalb die Talsperren immer gut gefüllt bleiben müssten.
Die Hochwasserzentrale im zuständigen Sächsischen Landesamt für Umwelt und Geologie hat zwar schon am Sonntagabend eine Vorwarnung und ab Montag Pegelstände an die Rettungsleitstellen der betroffenen Kreise und Städte herausgegeben. Wie nachdrücklich das geschah und wie ernst die Warnungen dort genommen wurden, wirft aber Fragen nach der Organisation des Katastrophenschutzes insgesamt auf.
„Eine zentrale Katastrophenschutzplanung für den Freistaat Sachsen wird gegenwärtig nicht für zweckmäßig gehalten“ – so antwortete die Staatsregierung vor sechs Jahren auf eine CDU-Anfrage. Das hat Folgen: Die dezentrale Organisation überlässt schwierige Entscheidungen den Landkreisen und Kommunen.
Und so kam es zu der grotesken Situation, dass Dresdens Oberbürgermeister Ingolf Roßberg nach zwei Uhr am Dienstagmorgen erst persönlich von Ministerpräsident Milbradt zur Auslösung des Katastrophenalarms bewegt werden musste.
Im Müglitztal führte die durch das Tal verlaufende Kreisgrenze offenbar zu Koordinationsproblemen, nachdem oberhalb der Damm bei Glashütte brach. Der Döbelner Bürgermeister Axel Puschmann, der die heranflutende Gefahr der Mulde bagatellisierte und sich wütenden Bürgern gegenübersieht, liegt mit einem Nervenzusammenbruch im Krankenhaus.
Das sächsische Katastrophenschutzgesetz erwähnt zwar die Regierungspräsidien und das Innenministerium als oberste Katastrophenschutzbehörden. Einen zentralen verbindlichen Alarm oder den gesetzlichen Katastrophenvoralarm aber hat es nicht gegeben, wie die Verlegenheiten bei Nachfragen an die Regierungspräsidien zeigen.
Gewiss, es gibt derzeit dringendere Hilfsaufgaben. „Fragen sie mich solche Dinge, wenn ich mal wieder sechs Stunden am Stück schlafen konnte“, gähnt Sprecher Thomas Uslaub vom sächsischen Innenministerium. Bereits am Dienstag wusste der Krisenstab des Ministeriums aus den Prognosen, dass der Elbepegel um weitere zwei Meter steigen würde.
Aber selbst in Königstein, wo die Elbeflut mit zwei Tagen Verzögerung kam, tauchte lediglich ein Hubschrauber auf und rief per Lautsprecher etwas, das kein Bewohner verstand. Der Bauunternehmer an der Talsperre Klingenberg spricht aus, was bei weitem nicht nur alte Genossen denken: „Mit dem Zivilschutzsystem der DDR wäre dieses Chaos nicht passiert.“
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