piwik no script img

Schlüsselkinder in der Friesenstraße

Im Freizeitzentrum Friesenstraße ist seit Februar die zweite Sozialarbeiterstelle unbesetzt. Jetzt ist auch der andere Mitarbeiter ausgefallen. Also bekommen die Jugendgruppen einen eigenen Schlüssel und betreuen sich selbst

„Das ist ungefähr so, als würden Sie die Leitung eines Herrenbekleidungshauses übernehmen und müssten zusätzlich noch eine Abteilung für Damen und eine für Souvenirs eröffnen“, beschreibt Joachim Kuhlmann den Posten, den er im Februar verlassen hat. Rund 20 Jahre lang hat er das Freizeitzentrum in der Friesenstraße geleitet. Jetzt ist er Sachgebietsleiter „Junge Menschen“ im Amt für Soziale Dienste und damit koordiniert er die Fördermittel für alle Kinder- und Jugendeinrichtungen in Bremen Mitte und Östliche Vorstadt.

Sein alter Arbeitsplatz ist zur Zeit auch teilweise wieder sein neuer Arbeitsplatz. Denn der Job ist nach sieben Monaten immer noch nicht besetzt. Dabei braucht die Friesenstraße dringend Verstärkung. Der einzige Kollege ist wegen Krankheit ausgefallen und will auch eigentlich schon längst weg von der „Friese“. Sein Versetzungsantrag liegt seit geraumer Zeit im Amt für Soziale Dienste. Gleichzeitig soll das Jugendfreizeitheim das Angebot aufstocken. Zusätzlich zu der Arbeit mit Musik und Medien sollen hier in Zukunft auch Mädchengruppen und MigrantInnen eine Ansprechpartnerin finden. Ein Fräulein Wunder soll her. Mit einer Dreiviertel-Stelle soll sie der Friese ein neues Profil geben – und zwar am besten bis Ende 2003. Die Stelle ist nur für diesen Zeitraum befristet.

So hat es zumindest der Controlling-Ausschuss entschieden. Das Gremium setzt sich zusammen aus VertreterInnen der freien Träger, des Amtes für Soziale Dienste und des Ortsamtes. Von 2000 bis 2007 soll der Ausschuss sein jährliches Budget der Kinder- und Jugendeinrichtungen des Stadtviertels um rund 28.000 Euro reduzieren. Den Jugendlichen in den Freizeitheimen wollen sie mehr Verantwortung geben und so Personal einsparen. Mit ihrer faktischen Nullbesetzung wäre die Friese damit ein Musterbeispiel.

Die NutzerInnen sehen das allerdings anders. Betreute Jugendarbeit gibt es hier derzeit nicht. Stattdessen betreuen sich die Kids selbst: Rund 20 Jugendliche haben einen Schlüssel, aber reguläre Öffnungszeiten gibt es nicht mehr. „Wenn ich Glück habe, ist jemand da und macht mir die Tür auf“, beschwert sich Hera Hustert, 21, die schon seit mehreren Jahren in die Friese geht, um Fotoarbeiten zu machen, zu kickern oder einfach nur um Leute zu treffen. Viel problematischer sei die Situation für Neulinge oder Jüngere. „Die stehen ziemlich alleine da und können hier nur noch rumhängen.“

Der Grund für die Misere liegt im Gezerre um Fördermittel im Stadtviertel. Der Etat von 436.000 Euro in 2002 muss auf zehn Träger verteilt werden. Der einzige öffentliche Träger ist dabei die Friesenstraße, alle anderen Träger sind frei. Und für die gelten andere Spielregeln: Sie müssen einen realen Kostenplan erstellen, in dem jeder Posten exakt aufgeschlüsselt ist. Die Friese dagegen plant virtuell. Ihre Betriebskosten werden nicht aufgeschlüsselt. Alle 19 öffentlichen Jugendeinrichtungen der Stadt berechnen diese Kosten gemeinsam. Am Ende wird ein gewichteter Mittelwert auf die einzelnen Stellen übertragen. Ein willkürliches Verfahren, finden die freien Träger. Die öffentlichen Einrichtungen bestimmten einfach ihren Bedarf, während die freien Träger ihn auch nachweisen müssten, beklagt sich der Leiter des Sportgartens Uli Barde. Was dann übrig bleibe, können die freien Träger unter sich aufteilen. Deswegen habe man sich im Controlling-Ausschuss auch für eine befristete Dreiviertel-Stelle statt einer vollen unbefristeten ausgesprochen. Schließlich müsse man selber auch jedes Jahr neu darum kämpfen, dass man die Fördermittel bekomme.

Unklar ist indes, was mit dem Geld passiert ist, das die Stadt seit Monaten durch die Nichtbesetzung der Stelle spart. Im Stadtteil angekommen ist es jedenfalls noch nicht. „Rechnerisch ist das Geld irgendwo im Personalbudget der Stadt zu finden“, sagt Sachbereichsleiter Joachim Kuhlmann; um darauf zuzugreifen und es in den Stadtteiltopf zurück zu geben, müsse man aber erst eine rechtliche Regelung finden.

Verena von Ondarza

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen