das personal der wahl (6)
: Die Leiden des Julian Nida-Rümelin

Der Anti-Popstar

Als Julian Nida-Rümelin Anfang des Jahres sagte, „unter bestimmten Voraussetzungen“ und im Fall eines rot-grünen Wahlsieges sein Amt als Kulturstaatsminister fortführen zu wollen, kommentierte sein bayerischer CSU-Gegenspieler Hans Zehetmair dieses Ansinnen so: „Die Zahl der schönen Philosophen mit hoher Frustrationsschwelle dürfte auch bei der SPD überschaubar sein.“ Das war boshaft, ließ trotzdem Neid durchschimmern – welche Partei hat überhaupt einen schönen Mann und dazu noch einen schönen Philosophen in ihren Reihen? –, traf aber sonst ins Rote: Nida-Rümelin gehört zu den Ministern, die Gerhard Schröder eher ungern zu seinen Leistungsträgern zählt.

Diese sind sowieso rar gesät, doch der burschikose Aufsteiger Schröder und der gelernte Schöngeist Nida-Rümelin ticken allein qua Geburt nicht im Einklang; und, nicht unwichtig: Nida-Rümelin ist, trotz aller Schönheit, kein Stammgast in Talkshows. Immerhin aber ist er die Lichtgestalt unter den grauen, aber hart arbeitenden Kabinettsmäusen (Bodewig, Riester, Müller, Bulmahn), sozusagen deren Anführer. In seinem Ressort versucht er, die Politik der ruhigen Hand mit einer Politik der „ausgestreckten Hand“ zu begleiten. Das heißt, er macht auch die Arbeit korrekt, die ihm widerstrebt. Sei es, dass er den Deutschen Filmpreis verleiht und ihm dabei einfällt, dass die Filmkunst heute die gleiche Bedeutung habe wie die Oper im 19. Jahrhundert. Sei es, dass er die Popkomm eröffnet und vorweg sagt, hier nicht als „Schlaumeier“ auftreten zu wollen.

Gerade im Vergleich zum knackigen Auftritt, den Jean-Marie Messier (Ex-Vivendi) im Vorjahr auf der Popkomm hatte – braun gebrannt, rosafarbenes Hemd, Stings „Brand New World“ als Aufheller im Gepäck –, wirkte Nida-Rümelin unter den Popmenschen wie ein knorriger Sachverwalter, der Beruf und Privatleben genau auseinander zu halten weiß. Er entzückte zwar mit seinem vermeintlichen Einsatz für eine Quotierung deutscher Musik. Doch er verschleierte nur unzureichend seine Distanz zu einer Industrie, die vorwiegend Musik verkauft, die sein ästhetisches Empfinden beleidigt.

Sehr nidarümelisch erweckte er erst den Eindruck, er habe was gegen kulturellen Elitarismus: Ja, Pop sei enorm wichtig. Konstatierte dann aber, gerade in den Neunzigern wäre der Abgrund zwischen Pop und Nicht-Pop größer geworden (wo er da wohl gelebt hat?) und ein neuer Elitarismus sei in Politik und Kulturszene hinzugetreten.

Spätestens hier wusste man: Nida-Rümelin ist stringent Anti-Pop. Die ungelenke Anbiederung, Popmusik könne in zwei Zeilen und einem Riff Lebensgefühle auf den Punkt bringen, tat da nur ihr Übriges.

Vor diesem aktuellen Hintergund lässt sich sagen, dass die Ministerwerdung Nida-Rümelins lange vor dem 11. 9. für ein Rollback sorgte und schon seinerzeit das Ende der Spaß- und Pop-Gesellschaft einläutete: Neue Ernsthaftigkeit statt Michael-Naumann-Glamour, sorgsame Ordnungspolitik statt unablässiger Provokationen, Worte zum Sonntag statt wildes Herumschwadronieren.

Natürlich hatte auch Nida-Rümelin Auftritte in Bunte und Spiegel, nicht ohne Folgen heiratet man Michael Schanzes Ex. Zumal diese auch noch eine Romanautorin ist, deren Werke sprachlich konsequent im Gegensatz zu Nida-Rümelins ethischen Essays stehen („Die Sterne funkelten als kalte Diamanten auf dem schwarzen Himmelssamt“). Doch mit seiner smarten wie spröden Art, seinem festen Charakter und seiner intellektuellen Ausgewogenheit hat Nida-Rümelin die Latten gesetzt, an denen man einen wie ihn messen muss: die Zivilgesellschaft, eine streng humanistische Grundhaltung, jederzeit moralisch und ethisch vertretbares Handeln. Oder auch: der Diskussionswert des deutschen Films, das Theater als Daseinsvorsorge, das Musikfernsehen als kulturelle Errungenschaft. Damit zielt er manchmal zwar in wolkige Leeren, da verhebt er sich, wenn er Embryonen und Menschenwürde partout nicht in Einklang zu bringen weiß, doch insgesamt gilt: feinnervige Integerheit rules.

So tat er einem tatsächlich auch sehr Leid, als er beim Wahlkampfauftakt der SPD auf dem Berliner Gendarmenmarkt einen von Gerhard Schröders Statisten geben musste: mit leicht angesäuerter Miene, möglicherweise hart an der Frustrationsschwelle, letztlich aber mit guter Haltungsnote. Ein Ästhet eben, zwischen Bratwürsten und Bier, zwischen Pur (sehr deutsche Popband) und Klaus Wowereit (schwuler, aber sonst sehr typischer Berliner Bürgermeister). Wenn Julian Nida-Rümelin Pech hat, muss er am Ende wirklich weitermachen. GERRIT BARTELS