„Das Herz von Goma ist geblieben“


aus Goma DOMINIC JOHNSON

Der Frisiersalon „Don't Ask Me“ hat sich auf die neue Zeit eingestellt. Ein grimmiger US-Soldat und ein grimmiger halb nackter Terrorist gehen sich auf dem handgemalten Ladenschild gegenseitig an die Gurgel. Neben der Bude liegen Lavasteine, nicht wie sonst überall in großen Haufen, sondern fein säuberlich nach Größe sortiert. Man kann aus so etwas Mauern bauen, wenn man viel Geduld und Fantasie hat. Und Geduld und Fantasie braucht man in Goma, der von der Rebellenbewegung RCD kontrollierten Hauptstadt im Osten der Demokratischen Republik Kongo, die am 17. Januar vom Ausbruch des Vulkans Nyiragongo zerstört wurde.

Sechs Monate nach den Vulkanausbruch gleicht das historische Zentrum Gomas noch immer einer Mondlandschaft. Ausgebrannte Dachgiebel wie aus einer buchstäblich versunkenen Welt ragen vereinzelt aus der kilometerbreiten Wüste von verformten grauschwarzen Felsen gefrorener Lava, blauschwarz glänzenden Basaltsplittern und allgegenwärtigem graubraunem Staub. Wie eine aufgeschlitzte Pyramide ragt das spitze schwarze Dreieck der Kathedralmauern in den Himmel. Der Altar ist freigelegt worden, und wenn man hier durch die leeren Fensterschlitze hinaus ins Freie steigt, blickt man hinab in die früheren ersten Stockwerke verschütteter und verbrannter Häuser.

Gomas Herz – das sind die Menschen

Die Verwüstung ist hier so verheerend, dass an einen raschen Wiederaufbau nicht zu denken ist. „Das gewerbliche Goma ist zerstört“, bilanziert Onesphore Sematumba, Lehrer und Aktivist der Nichtregierungsorganisation „Pole Institute“, deren früheres Büro auch irgendwo unter den Lavamassen begraben liegt. „Alles, was die Belgier uns einst hinterlassen haben, ist kaputt. Aber die Stadt ist da, und sie wird bleiben. Hätte der Vulkan die Armenviertel mitgerissen, würden sich die Leute vielleicht sagen, dass sie gehen sollten. Aber das Herz von Goma ist geblieben.“

Das Herz von Goma – das sind die Menschen. „Wir haben gelernt, mit ihm zu leben“, beschreiben die Leute ihr Verhältnis zum Vulkan. Sie kehrten direkt nach dem Ausbruch entgegen allen Warnungen in die noch heiße Lava zurück. Seitdem wollen alle nach Hause, und wenn das nicht geht, lassen sie sich irgendwo in der Nähe nieder. Im unzerstörten Westteil der Stadt wuchert Goma ungestüm ins Umland hinein. Kilometerweit entstehen auf längst überwucherten Lavaformationen – wie die gesamte Region Hinterlassenschaften früherer Vulkanausbrüche – kleine Blockhütten entlang des Kivu-Sees: eine Spende von Hilfsorganisationen an umzusiedelnde Obdachlose.

Die hier hinausführenden Straßen sind voller Verkehrsstaus und wuselnder Menschenmengen, ebenso wie die innerstädtischen Geschäftsstraßen des Viertels Birere, an dem die Lavamasse nur knapp vorbeifloss. In den einstöckigen Verschlägen von Birere blüht heute der Handel, der Waren aus aller Welt über Dubai und Uganda nach Kongo bringt. Von Mehl bis Uran kriege man hier alles, versichern Anwohner, und halb Ruanda komme hierher, um beim Großeinkauf die 18-prozentige ruandische Mehrwertsteuer zu sparen.

Dort, wo Birere an die Mondlandschaft grenzt, ist auch der einzige Ort, wo großflächig und systematisch auf der Lavamasse neu aufgebaut wird. Ein modernes Geschäftshaus wird sich hier bald an das andere reihen. Fertig ist bisher nur der Großhandel des omanisch-kongolesischen Händlers Mvano, in dem sich Seife bis unter die Decke stapelt. Nebenan entsteht eine weitere Lagerhalle für Mehl, davor steht ein großer gelber Bulldozer.

Offiziell ist Bauen auf der Lava verboten, bestätigt der zuständige RCD-Minister Nestor Kiyimbi: „Weil die Lava noch heiß ist, erlauben wir das nicht.“ Wieso bauen dann trotzdem einige? „Da, wo die Lava unter zwei Meter hoch ist, können wir eine Ausnahme machen.“ Als ob man die Höhe des harten Fels zweifelsfrei feststellen könnte. Zutreffender ist wohl die von verschiedener Seite geäußerte Meinung: Wer bauen darf, muss der „Kongolesischen Sammlungsbewegung für Demokratie“ (RCD) nahe stehen, der Rebellenbewegung, die Goma wie auch die gesamte Osthälfte des Kongo kontrolliert. So klopfen Arbeiter gegenüber vom Omani-Händler Lavasteine auf dem Gelände einer Geschäftsfrau aus Somalia, deren Sohn einen hohen RCD-Posten haben soll. Weiter hinten entstehen Geschäftsräume kongolesischer Händler, unter ihnen einer namens Buy-Buy.

Man kann natürlich auch außerhalb der Lavamassen schöne Häuser bauen. Direkt am Grenzübergang hat ein Coltanhändler Gomas neuestes Hotel gebaut, einen glitzernden Prachtbau mit Glasfronten, wie ihn diese Stadt noch nicht gesehen hat. Während der Hilfsaktionen nach dem Vulkanausbruch war das der Treffpunkt der ausländischen Helfer. Auf dem Grundstück nebenan entsteht gleich noch eins.

Baumaterialien wurden verkauft

Die meisten Einwohner von Goma haben von diesem Bauboom nichts. Noch heute sind bis zu einem Drittel der 500.000 Einwohner Gomas obdachlos. Viele von ihnen sind bei Verwandten und Freunden untergekommen, andere leben in den Bretterverschlägen der Hilfswerke. Zehntausende vegetieren allerdings auch noch in als Übergangslösung gedachten Notlagern, völlig mittellos und nach dem Ende der meisten internationalen Hilfsaktionen auch schlecht versorgt.

Das größte von ihnen, Esco am Kivusee, etwa 15 Kilometer außerhalb der Stadt, ist ein Meer von Hütten aus Zweigen und Plastikplanen, wo halb nackte Kinder durch den Matsch toben, Frauen vor den Hütten ein paar Maiskörner kochen und junge Männer sich dem Besuch in den Weg stellen. Die Abnahme des Reisepasses kann zwar verhindert werden, aber hundert Meter weiter blockiert der Lagerleiter in seinem neuen Auto die Straße und schickt den ungebeten Gast nach aufgeregten Telefonaten wieder fort – unter den zornigen Blicken abgerissener Insassen des 10.000 Menschen zählenden Lagers am See.

Erst fernab der Überwachung können Escos Bewohner erzählen. „Die Leute verhungern“, behauptet der 29-jährige Beya Keke. „Es gibt kaum Latrinen. Manche Leute müssen im Freien schlafen, denn der Lagerleiter hat die gelieferten Baumaterialien verkauft und sich vom Erlös Autos gekauft. Es gibt nicht einmal genug Decken. Es gibt Leute, die haben einen Aufstand angefangen. Sie wurden ausgepeitscht.“ Die 30-jährige Aline Bushishi sagt: „In Goma sind wir obdachlos, und hier kann man nicht leben. Es gibt zu viele Tote.“ Von Cholera ist die Rede und kranken Kindern ohne Medikamente.

Die Leute fühlen sich verraten. Sie wurden von den Behörden in Kooperation mit den Hilfswerken nach Esco gebracht mit dem Versprechen, hier bekämen sie Land. Nun haben sie nichts. Ihre früheren Arbeitsplätze in Goma haben längst andere eingenommen. Arbeit auf Gomas Baustellen gibt es für sie auch nicht. Die Bauherren von Birere stellen lieber Tagelöhner aus Ruanda ein. „Die sind billiger und besser“, sagt Bauingenieur Joseph Koroti, der zwei mehrstöckige Geschäftshäuser hochzieht. „Die Kongolesen kommen und nach wenigen Minuten sagen sie: Ich muss aufhören, ich habe noch nichts gegessen. Die Ruander dagegen arbeiten.“

Morgens um halb acht kommen die ruandischen Bauarbeiter über die Grenze, nachmittags um drei gehen sie wieder – für 1,50 US-Dollar am Tag. Der kongolesische Maurer Christian Rachidi auf einer Baustelle um die Ecke hingegen bekommt 2 Dollar und klagt, das sei viel zu wenig. Ein Grund für den Unterschied ist, dass das Leben auf der ruandischen Seite der Grenze viel billiger ist als auf der kongolesischen – vor allem, seit die Zerstörung Gomas die Mieten in die Höhe getrieben hat. Ein Firmenangestellter erzählt: „Als ich nach Hause zurückkam, wollte mein Vermieter 600 Dollar statt 200 vorher. Da bin ich nach Gisenyi in Ruanda gezogen. Hier kostet ein Haus gleicher Größe nur 100 Dollar.“

Hohe Preise, keine Arbeit und eine Stadt, in der viel zu tun wäre. Die Mischung ist explosiv. Der Unmut gegenüber der RCD steigt, Kritik an den „Dieben“ und der „Mafia“ wird immer häufiger. Mehrere Oppositionsparteien operieren im Verborgenen, von der Anwerbung von Milizen durch RCD-Gegner ist die Rede. Immer weniger Eltern wissen, wie sie im neuen Schuljahr die Schulgelder bezahlen sollen, von denen die Lehrer in Ermangelung staatlicher Gehälter leben.

Die Schulen funktionierten nach dem Vulkanausbruch als Erstes wieder – der Unterricht ging unter Plastikplanen weiter, und jeder in Ostkongo weiß, dass ohne Schulbildung keine Chance besteht, aus dem Elend von Krieg, Verarmung und Staatszerfall herauszufinden. In Munigi, einer Siedlung am Stadtrand von Goma auf den Hängen des Vulkans, berichtet Schuldirektor John Motomay, er habe nur noch 120 Schüer statt 550 vor dem Vulkanausbruch. „Die meisten Leute hier sind obdachlos“, sagt er. „Um zu überleben, verkaufen sie die ihnen zugewiesenen 3 bis 4 Dollar und kaufen Lebensmittel. Aber es geht nicht darum, die Leute zu füttern. Die Bevölkerung will Werkzeug, um zu arbeiten und zu bauen.“

Leben in einer Hütte aus Zweigen

Solange es das nicht gibt, wächst die Verzweiflung. Kabara Barangirana wohnt mit seiner Frau und vier Kindern in einer winzigen Hütte aus Zweigen im Lager an der Hauptstaße von Munigi. Die Hütte hat zwei Zimmer: eines von der Größe der darin liegenden Matratze, dann einen Vorraum mit Feuerstelle und einer winzigen Holzbank. „Wir haben nichts“, klagt der alte Mann im schäbigen Anzug. Wie wird es weitergehen? „Es wird so bleiben.“

Gegenüber vom Lager führt ein schmaler Weg durch Bananenplantagen an den Rand des Erdspalts, aus dem am 17. Januar zuerst die Lava nach oben schoss, wonach der Spalt bis nach Goma hinab aufriss und die Stadt in Flammen aufging. Noch immer steigt hier aus einem Erdloch glühend heiße Luft auf. Wenige Tage später sehen die Bewohner der Außenviertel Gomas nachts Flammen am Himmel. Der Nyamulagira, ein Nachbarvulkan des Nyiragongo, sei ausgebrochen, berichtet morgens das lokale Radio RTNC. Und genau wie am 17. Januar, als RTNC die Leute viel zu spät zur Flucht aufrief, erklärt der Sprecher seinen Hörern, es gebe keinen Grund zur Sorge. Dann zählt er all die Orte auf, an denen es keinen Grund zur Sorge gibt. Da packen die ersten Leute schon mal die Koffer. Aber diesmal beruhigt sich der Vulkan wieder. Diesmal.