Profi im Manipulationsgeflecht

aus Washington MICHAEL STRECK

Wolfgang Pordzik hat eine warme, tiefe Radiostimme. Er könnte Geschichtenerzähler sein. Oder Synchronsprecher. Seine Stimme ist sein wichtigstes Werkzeug. Er muss überzeugen, vielleicht ein wenig hypnotisieren. Was er sagt, soll hängen bleiben. Denn Pordzik ist Präsident der Deutschen Post World Net in Amerika und damit oberster Interessenvertreter der Tochterfirma, nur einen Steinwurf vom Weißen Haus und zwei vom Kongress entfernt.

Die Klimaanlage in seinem Büro ist zu kalt eingestellt, wie immer in Amerika. Acht Stockwerke tiefer zieht sich die K Street, eine der wichtigsten Büro- und Geschäftsstraßen, schnurgerade durch die Innenstadt. Sie gilt als Zentrum der Beeinflussungsindustrie. Hier und um die Ecke sitzen sie, die mächtigen Interessenverbände, Anwaltskanzleien und Denkfabriken. Für Pordzik ein vertrautes Territorium.

Der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt ist vielleicht der dienstälteste deutsche Lobbyist in Washington. Schon mit 28 Jahren ging er 1978 als Stipendiat von Marburg nach Boston, war begeistert von der Forschungslandschaft in den USA, wollte nicht mehr zurück. Nahm das Angebot für eine Stelle bei der Konrad-Adenauer-Stiftung an, machte Washington zu seiner Heimat und gründete schließlich 15 Jahre später seine eigene Beratungsfirma, die sich auf transatlantische Beziehungen spezialisierte. „Einmal habe ich Colin Powell für einen Vortrag bei einer Bank in Frankfurt gewinnen können“, erzählt der heute 54-Jährige, der viel über seine Arbeit und wenig über Privates spricht, von einem seiner größten Coups.

Später wurde die Deutsche Post sein Klient, bis er 2001 den Chefsessel der US-Tochter angeboten bekam. Und mit der will der Hobbypilot hoch hinaus: den US-Markt für den gelben Post-Expressdienst erobern, der von UPS und FedEx beherrscht wird. Doch der Job in Washington ist mehr als nur der des Firmenleiters. „Ich bin Lobbyist und scheue mich nicht vor dem Begriff.“

Dieser Beruf ist in Deutschland nicht erst seit der Affäre um den Kontakthändler Moritz Hunzinger alles andere als angesehen. Aber in den USA ist Lobbyismus so selbstverständlich wie das Tempolimit auf den Highways. Das Recht der Bürger, sich mit einem bestimmen Interesse Gehör bei den Volksvertretern zu verschaffen oder gegen als ungerecht empfundene Gesetze zu protestieren, ist im ersten Verfassungszusatz, der Bill of Rights, fest verankert. „Lobbyismus ist daher in den USA eine unerlässliche Voraussetzung, politische, wirtschaftliche und soziale Interessen zu vertreten“, sagt Pordzik. Anders als in Deutschland würden hier nicht die Parteien, sondern Interessenverbände die politische Willensbildung übernehmen. Daher sei in keiner anderen Stadt der Welt Lobbyismus so allumfassend und folgenschwer wie in Washington.

1.500 Lobbyfirmen gibt es in Washington. Sie vertreten rund 11.000 Klienten. 20.000 Lobbyisten sind direkt beim Kongress registriert, sie beschäftigen weitere 60.000 Mitarbeiter. Über 1,4 Milliarden Dollar ließen sich Lobbyisten im Jahre 2000 den Zugang zu den Parlamentariern kosten, das sind 2,7 Millionen pro Kongressmitglied.

Um in dieser Manipulationsmaschinerie nicht überhört zu werden, muss man kreativ brüllen können. Als Pordzik im vergangenen Oktober Cheflobbyist wurde, suchte er nach einer guten Idee, die Deutsche Post ins Gespräch zu bringen. Er überzeugte Senator Kent Conrad aus North Dakota davon, seine Farmer tausende Tonnen Weizen als Hilfslieferung nach Afghanistan schicken zu lassen. Und das Logistikunternehmen Post erledigt den Transport. Auf einer Werbeveranstaltung im Kongress, bei der sich die Post vorstellte, wurde die Aktion dann angekündigt. „Nicht wie eine selbstherrliche Darstellung, sondern eher als Randnotiz“, sagt Pordzik. Elf Abgeordnete, zwei Senatoren und viele Kongressmitarbeiter waren anwesend. „Eine beachtliche Resonanz für hiesige Verhältnisse.“ Mit der Aktion sollte aber auch noch eine andere Botschaft transportiert werden: „Wir wollen hier gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.“ Ausländische Unternehmen unterschätzten oft, wie wichtig es für das Image einer Firma in der Bevölkerung und bei der politischen Elite sei, sich gesellschaftlich zu engagieren. Daher hat Pordzik gleich nachgelegt und mit schwarzen Kongressabgeordneten ein Projekt zur Nachwuchsförderung für „African Americans“ ins Leben gerufen. Und in Arizona wird ein Heim für Obdachlose unterstützt.

Pordzik spricht in kurzen und klaren Sätzen. Das macht das jahrelange Training mit den Adressaten. Wer bei Abgeordneten Erfolg haben will, muss zur Sache kommen und in der Lage sein, eine konzentrierte Botschaft zu überbringen. Denn selten gewähren einem die Damen und Herren auf dem Kapitolshügel mehr als 15 Minuten.

Dabei ist das System – anders als in Deutschland – transparent: „Die Regeln hier sind irre strikt“, sagt Pordzik. Es wird genau Buch geführt, wer sich mit wem und wann getroffen hat, und wie viel Geld geflossen ist. Alle sechs Monate verlangt der Kongress einen Bericht, der Klienten und Honorare offen legt. Direkte Spenden an Politiker sind seit dem Watergate-Skandal sowieso stark begrenzt. Auch die Einladungen an Abgeordente zu einem langen Wochenende mit Bootsfahrt und Candlelight-Dinner sind nicht erlaubt. Also muss das Geld über Umwege fließen. Und gerade die Post als hundertprozentige Tochter eines ausländischen Unternehmens darf ohnehin nicht direkt spenden.

Was macht man also, um die für die eigenen Zwecke wichtigen Politiker zu gewinnen? Pordzik fand heraus, dass der Abgeordnete Tom DeLay aus Texas, seit vielen Jahren vom wichtigsten Konkurrenten UPS „beeinflusst“, eine Stiftung für missbrauchte Waisenkinder hat. Diese veranstaltete ein dreitägiges Fundraising mit Promis, Golfplatz, Hotel und feinem Essen. „Da haben wir uns eingeklinkt.“ Und den Zugang zu DeLays Ohr erkauft. Immerhin eine Stunde, viermal so lange wie üblich, konnte Pordzik mit dem Politiker sprechen. Solche Veranstaltungen gebe es jährlich hunderte. Sie seien der Tummelplatz, beim Fliegenfischen und Segeln werde versucht, Einfluss auszuüben.

Gerade jetzt, vor den Wahlen zum Kongress im November, wird das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Politik und Interessengruppen deutlicher als je zuvor. Senatoren und Abgeordnete müssen ihre Kassen füllen. Sie laden zu Empfängen oder zum Frühstück und lassen sich den Zutritt zur Macht mit vier- bis fünfstelligen Beträgen bezahlen. Es werden viele Schecks ausgestellt in dieser Zeit. Und doch: Der Einsatz von viel Geld verspricht zwar oft, aber nicht immer den Erfolg. Zwar ließ sich beispielsweise die Bush-Regierung recht unverblümt ihre Energiepolitik von Öl- und Energiefirmen diktieren, aber auch eine massive Lobbykampagne der Autoindustrie konnte nicht verhindern, dass Kalifornien kürzlich strengere Emissionsstandards für Autos eingeführt hat.

Pordzik findet Lobbyismus grundsätzlich nicht verwerflich. Aber er sieht natürlich auch den Missbrauch von Interessen und die korrumpierende Macht des Geldes. Auf den Einwand von Kritikern, Lobbyarbeit setze Partikularinteressen durch und habe wenig mit öffentlichen Anliegen zu tun, entgegnet er, „dass in den USA ein florierendes Unternehmen zum Beispiel auch als öffentliches Interesse betrachtet wird“. Außerdem beschränkt sich der Lobbyismus längst nicht mehr auf wirtschaftliche Akteure: Hilfsorganisationen, Umwelt- und Bürgerrechtsgruppen heuern Lobbyisten an. Selbst Universitäten, Stadtverwaltungen und Kirchen fühlen sich so stark von Entscheidungen der Regierung betroffen, dass sie die Dienste der Beeinflussungsbranche in Anspruch nehmen – eine „Epidemie des Hausierens“ nennt es das Center for Public Integrity.

Gleichzeitig ist die Arbeit der Lobbyisten im immer komplexeren Regulationsdickicht keine Einbahnstraße mehr. Abgeordnete wollen von ihnen wissen, welche Auswirkungen geplante Gesetze auf Firmen, Branchen oder Standorte haben. Auf der anderen Seite müssen sie ihre Klienten ständig über den legislativen Prozess informieren. „Wir verfolgen, welche Regelungen vorbereitet, eingebracht und verabschiedet werden, und informieren dann“, sagt Pordzik.

Er wird jetzt erst mal durchs Land reisen und die Kongressabgeordneten besuchen, in deren Wahlbezirk die Deutsche Post vertreten ist. Sein Rezept, um erfolgreich zu arbeiten, ist einfach: „Die Amerikaner lieben Übertreibung. Man muss also ein bestimmtes Drama aufziehen können. Und wenn es nicht klappt, den kühlen Kopf bewahren.“