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Wasser wird käuflich

von CHRISTA WICHTERICH

Es sind Zahlen, die man sich kaum vorstellen kann: Weltweit leben rund 1,1 Milliarden Menschen fast ohne Trinkwasser. Mehr als doppelt so viele, nämlich 2,4 Milliarden, haben keine oder nur unzureichende sanitäre Einrichtungen. Das liegt vor allem daran, dass 70 Prozent des gesamten Süßwassers in die Bewässerungslandwirtschaft und 20 Prozent in die Industrie fließen. Nur der Rest, das, was übrig bleibt, wird privat vor allem als Trinkwasser und für sanitäre Einrichtungen genutzt.

Das hat zur Folge, dass allein fünf Millionen Menschen jährlich an Krankheiten sterben, die durch verschmutztes Wasser (mit-)verursacht werden. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Golfplätze, deren Rasenflächen dauerberieselt werden, im vergangenen Jahrzehnt weltweit vervielfacht. Längst ist Wasser ein käufliches Gut, es fließt dahin, wo die Kaufkraft ist. Leitungen und Kanalisation werden für die zahlungsfähigen Verbraucher in Schuss gehalten, während das Versorgungssystem in Armenvierteln marode ist. In Mexiko-Stadt wässern die Sprenkleranlagen die Vorgärten in den Nobelvierteln tagelang, während Frauen aus den Slums derselben Stadt nicht genug Trinkwasser für ihre Kinder haben.

Auf der lokalen und kommunalen Ebene stellt sich deshalb die Frage: Wer legt die Regeln für die Nutzung lokaler Ressourcen fest? Wo wird entschieden, wie viel Wasser wofür verbraucht werden darf? Und werden die unterschiedlichen „weiblichen und männlichen Nutzungsmuster“, wie es in der Entwicklungspolitik heißt, dabei berücksichtigt?

In afrikanischen Kulturen wurden Nutzungsrechte meist durch traditionelle Regeln festgelegt. Diese lokalen Regelsysteme greifen aber nicht mehr, sobald Land in private Hände übergeht, der Staat die Regie über Ressourcenschutz und Management übernimmt oder Kriege und Dürren alle überbrachten Ordnungsstrukturen aushebeln. Daher nehmen die Auseinandersetzungen um Wasser zu, aus der Wasserkrise werden Wasserkonflikte oder gar Wasserkriege.

„Bei uns haben die Männer der verschiedenen Clans den Zugang zu den Brunnen ausgeschossen“, berichtet Fatima Jibrell von der NGO „Horn Relief“ aus dem staubtrockenen Puntland am Horn von Afrika. Deshalb forderten die Frauen Zugang zu den Ältestenräten, um das Wassermanagement selbst neu auszuhandeln. Gleichzeitig bauten sie kleine Stein- und Sandwälle auf, an denen sich Feuchtigkeit sammelt und in das Erdreich sickert. Nach drei Jahren wachsen hier Akazien und der Grundwasserspiegel sinkt nicht weiter ab.

Als Sisyphusarbeiterinnen des Alltags tragen die Frauen die Verantwortung für das Trinkwasser, die Hygiene, die Gesundheit und die gute Ernährung. Auf dem Land bauen sie auf kleinen Feldern für den eigenen Kochtopf und den Verkauf auf den lokalen Märkten an. Doch diese „weiblichen“ Nutzungsformen von Wasser werden an den Rand gedrängt, je knapper die Ressource. Die Bewässerungslandwirtschaft mit dem Anbau von wasserintensiven Pflanzen für den Export gräbt nicht nur der Trinkwasserversorgung im sprichwörtlichen Sinne das Wasser ab, sondern auch der Selbstversorgung der Frauen. Das Wasser sprudelt auf Baum- oder Blumenplantagen, auf Monokulturen mit saftigem Gemüse für die Supermärkte in den Städten oder den Export in die Industrienationen. Aquakulturen zur hormon- und fun-gizidintensiven Aufzucht von Fischen und Garnelen verpesten Böden, Grundwasser und andere Gewässer in der gesamten Umgebung.

Sobald aber bei der Wasserver- und -entsorgung Rat von außen, Technik und Fortbildung ins Spiel kommen, setzen sich altbekannte männerdominierte Mechanismen in Gang: Es sind Männer, die lernen, eine Motorpumpen zu bedienen und zu reparieren. Und wo mit der Verteilung von Wasser durch Pumpen, Kanäle oder private Transporter Geld zu verdienen ist, da stehen Männer ganz vorne.

Gleichzeitig werden jedoch die Frauen nicht aus der Verantwortung für Hygiene und Gesundheit entlassen. So warfen etwa wissenschaftliche Studien über den hohen Krankheitsstand am Aralsee den Frauen vor, ihre unausgewogene Ernährung und mangelnde Hygiene sei schuld an Anämie, Durchfallerkrankungen und Hepatitis. Tatsächlich ist die Umweltkatastrophe des Aralsees durch den jahrzehntelangen Intensivanbau von Baumwolle ausgelöst. Die Wasserfläche des Sees ist bereits um die Hälfte geschrumpft, alles Wasser der gesamten Region ist versalzen oder durch Agrargifte ungenießbar.

Land und Wasser, Biodiversität und Energie – das sind die vier Schlüsselressourcen für das Überleben von Frauen in unterentwickelten Regionen. Es fehlt ihnen nicht an Arbeit und Verantwortung, dafür an Rechten und Regeln, die ihnen Ressourcennutzung sichern. Ressourcensicherung war das zentrale Thema, als Frauenorganisationen aus aller Welt sich 1991 zur Vorbereitung auf den UN-Gipfel in Rio trafen. „Livelihood“ – eine sichere Lebensgrundlagen – war ihr Konzept von Nachhaltigkeit. Und mit der Ressourcensicherung verbanden sie auch Ressourcengerechtigkeit. Denn sie brauchen Verfügungsrechte, Kontrollmacht, Entscheidungsbefugnisse, sonst wirken eben gerade jene homophilen Mechanismen, die sie handlungsunfähig machen.

Die Agenda 21 von Rio bestätigte das Ziel, „der geschlechtsbedingten Diskriminierung ein Ende zu bereiten und den Frauen Zugang zu Land und anderen Ressourcen zu verschaffen“. Die Forderung nach Land- und Erbrechten für Frauen hat sich seitdem aber nur in wenigen Ländern Afrikas durchsetzen können. Im Gegenteil: Die wirtschaftliche Globalisierung verstärkt die Konkurrenz um Ressourcen. Kommerzialisierung, Technologie und Effizienzprinzip grenzen Frauen und „weibliche“ Nutzungsformen erneut aus.

So wundert es nicht, dass Frauen als zentrale Akteurinnen im Widerstand auftreten, wenn lokale Lebensgrundlagen durch Staudammbauten, Plantagen und industrielle Verschmutzung gefährdet sind, wenn im Namen von „Entwicklung“ eine private Aneignung von Ressourcen durch Firmen von außen stattfindet oder Regierungen den lokalen Gemeinschaften das Ressourcenmanagement aus den Händen nehmen.

Durch die Wasserkrise ist neben der Landfrage in den vergangenen Jahren zunehmend die Wasserfrage zu einem Thema der Geschlechtergleichheit geworden. In Johannesburg wollen Frauenorganisationen und Netzwerke die Wasserrechte auf die Tagesordnung setzen. Damit die Forderungen nach Ressourcensicherung und Geschlechtergerechtigkeit nicht hinter den Stand von Rio zurückfallen.

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