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Nicht big in Japan

Der Schein lügt: Eigentlich kommt Sushi aus China. Ein Drittel der japanischen Restaurants in Berlin gehört Russen. Und im Sushi Circle in der Französischen Straße kennt man Japan nur aus Erzählungen

von CHRISTIANE TEWINKEL

Vor dem großen Hochwasser war Burg bei Magdeburg ungefähr so bekannt wie Topeka in Kansas, nämlich kaum. Aus Burg in Ostdeutschland kommt der General Manager der Sushi Circle Gastronomie GmbH, David Schoof. In Topeka hingegen, im amerikanischen Mittelwesten, bin ich vor langer Zeit mit den Eigenheiten des Sushi-Geschäfts bekannt gemacht worden.

An einem heißen Sommertag saßen wir kurz vor Topeka zu dritt in einer Sushi-Bar und plauderten mit dem Koch. Es war kühl klimatisiert, halbdunkel, es gab zarten Fisch und britzligen Ingwer. Das Gespräch entwickelte sich heiter – bis wir den Sushi-Meister fragten, wo er das Handwerk erlernt habe. Doch wohl in Japan? Nein, sagte er. Wie könne das sein, sei er denn kein Japaner? Er komme aus Korea, meinte der junge Mann verstimmt. Ach so, sagte ich enttäuscht.

Von da an sagte der Koch nichts mehr, und wir hatten viel gelernt: Über politisch korrekte Fragen. Das japanisch-koreanische Verhältnis. Und über die Verwandtschaft von Sushi- zu Brillen-Verkäufern: Brille muss sein, Kunden sind naiv und mögen den Schein sehr.

Dabei kommt Sushi gar nicht aus Japan, sondern aus China. Anfang des siebten Jahrhunderts sah man sich dort aus dem südasiatischen Raum eine besondere Konservierungsmethode ab; gesalzener Fisch und Reis wurden zueinander gelegt, bis Fermentierungsprozesse den Reis veränderten und dabei den Fisch konservierten. Den Reis warf man weg, am Fisch hatte man noch lange Freude. Bald begannen die Japaner damit, die Fermentierung durch Zusatzstoffe zu beschleunigen, und dann dachte man sich aus, den Reis im Vorhinein zu würzen, mit Essig und süßem Wein. So entstand die Vorform dessen, was wir heute als „Sushi“ zu kennen glauben.

Die noch immer bekannteste Variante, Nigirisushi, wurde vor etwa hundertfünfzig Jahren in Tokio erfunden und erst dann weiter ausgebaut, als die Behörden eine Reform erzwangen, weil die Kosten für den teuren Frischfisch kaum noch zumutbar waren. Um gewöhnliche Bürger nicht länger auszuschließen, entwickelte man preiswertere Sushi-Formen: die Algenrolle zum Beispiel, Norimakisushi.

Sushi isst man heute überall. Den ganz echten, superauthentischen Kontakt zum Herkunftsland hat freilich nicht nur die amerikanische Provinz verloren.

Auch im Sushi Circle in der Französischen Straße kennt man Japan nur aus Erzählungen. Wie andernorts, so bietet die Karte des Sushi Circle allerdings Informationshäppchen für all jene, die mal eben die Fußspitze ins japanische Wasser tauchen möchten. Dass man dabei auch freundlich dazu aufgefordert wird, seine Suppe zu trinken und nicht zu löffeln, weil das authentischer sei, bleibt eine Ausnahme und erreicht längst nicht die Dramatik von Fai Sushi, die den Potsdamer Platz mit Sushi bestellen und nebenbei in die japanische Kultur einweisen. „A, erster Buchstabe unseres Alphabets, in Japan unbekannt“, steht dort auf der Speisekarte unter „Kleines Sushi-ABC“.

David Schoof, der 1997 in Frankfurt das erste deutsche Fastfood-Fließband-Restaurant mitbegründete, sieht das alles ganz pragmatisch und winkt auch ab bei der Frage nach der Rekrutierung seines Personals. Alles Zufall, sagt er. Überhaupt, nicht der Zauber einer anderen Kultur, sondern der Markt spiele im Geschäftskonzept die wichtigste Rolle. Schoof war noch nie in Japan. Der Restaurantfachmann hat sich in der Schweiz, in Südafrika und den Vereinigten Staaten weitergebildet und Ende der Neunzigerjahre zusammen mit Andrea Godon, die das Sushi-Fließband ihrerseits aus London nach Frankfurt brachte, damit begonnen, ein Sushi-Circle-Netz über Deutschland zu legen. Acht ihrer Fließbandbars gibt es mittlerweile in Deutschland, unter den wenigen Edel-Fastfood-Ketten („wir mussten ja einen Begriff erfinden“) hält der Sushi Circle die Marktführerschaft.

Die Speisekarte hat man selbst entworfen, ein Niederländer die Geschäftsgründer anfangs beraten, und regelmäßig stellt sich Schoof hin und entwickelt neue Produkte: Zuckerschoten-Sushi. Die leicht angebratene Jakobsmuschel – weil sich die Gäste an die Rohform nicht herantrauten. Den Seetangsalat hat Schoof aus den USA, „ein Produkt“, sagt er, „das sich auch auf dem japanischen Markt durchsetzen könnte“. Japanische Experten haben bei all dem zu keiner Zeit eine Rolle gespielt. Dafür sind alle Beteiligten „Japanfreunde, die gerne Sushi essen“. Schoof lächelt über seine Formulierung.

In Japan gibt es Sushi vom Fließband 7.500-mal, und ebenso finden sich hier in Europa japanische Restaurants aller Niveaus, achtzig allein in Berlin, von denen ein Drittel Russen gehört. Freilich werden sogar jene achtzig Prozent der japanischen Bevölkerung, die nicht mindestens einmal in der Woche Sushi essen, einen ganz anderen, besonderen Einblick in die Bedeutung der Sushi-Zubereitung haben. So hilflos anjaponiert und einberlinert, wie etwa der Sushi Circle wirkt – den hundert Gästen, die täglich in die Sushi-Bar kommen und beim Essen eine Musik hören, „die läuft, die man aber nicht hört“ (Schoof), wird etwas präsentiert, das es in ganz weit entfernter Form gibt. Auch wenn es noch viel weiter entfernt ist, als man sich das denkt.

Sushi, so schreiben Michael Ashkenazi und Jeanne Jacobs, zeige beispielhaft, wie wichtig Einfachheit und Minimalismus für die japanische Küche sind. Fünf Jahre lernen Sushi-Köche das Handwerk; am Ende gehen sie perfekt, gelassen und natürlich mit Werkzeug und Zutaten um. Spüren, was der Kunde möchte, bevor er selbst es noch weiß, wissen um die je zwei Wochen, in denen jedes Nahrungsmittel auf der Höhe seiner Kraft ist. Zerteilen den frischen Fisch womöglich vor den Augen des Kunden, treten in ein besonderes Verhältnis mit ihm. „Ich stecke ihm das Essen fast in den Mund, was könnte intimer sein?“, hat ein Sushi-Chef erzählt. Die Essenz der Zubereitung von Sushi, so Ashkenazi und Jacob, bleibt der Umgang mit dem Messer. Die Schneidekunst des Sushi-Meisters wertzuschätzen sei das zentrale Element eines Kennertums, das sich auf eine lange Tradition zu berufen und japanische Identität in der Zubereitung von Sushi zu festigen vermag.

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