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Chinas Psychiatrie steht in der Kritik

Weltpsychiatriekongress diskutiert Missbräuche im Umgang mit chinesischen Dissidenten und Falun-Gong-Anhängern

YOKOHAMA taz ■ Die von Menschenrechtsgruppen kritisierten chinesischen Psychiatriepraktiken gegenüber Dissidenten und Anhängern der Falun-Gong-Sekte stehen im Rampenlicht des derzeit im japanischen Yokohama tagenden 12. Weltkongresses für Psychiatrie. Schon auf dem Weg zum Kongressgelände drücken gut organisierte chinesische und japanische Falun-Gong-Anhänger den Passanten dicke zweisprachige Pamphlete über konkrete Fälle von Missbräuchen in chinesischen Polizeikliniken in die Hände.

Drei Tage diskutierten die Delegierten des Psychiatrie-Weltverbandes (WPA) hinter verschlossenen Türen, bis sie sich Montagnacht über ihr Vorgehen gegenüber China einigen konnten. Sie stützten sich vor allem auf Vorberichte der britischen Sektion, die in enger Kooperation mit der Genfer Initiative für Psychiatrie über Missbräuche im Umgang mit politischen Gefangenen berichtet hatte.

Die Abstimmung über einen eventuellen Ausschluss Chinas aus dem Weltverband wurde zweimal verschoben und endete mit einem Kompromiss. Der Weltverband wird bis zum Jahresende eine unabhängige Expertengruppe zusammenstellen. Die soll bis Ende Februar 2003 China besuchen und spätestens bis Mai 2003 einen Bericht verfassen.

WPA-Präsident Juan Lopez Ibor sagte in Yokohama der taz, die chinesische Sektion habe eine unabhängige Untersuchung durch WPA-Experten „ausdrücklich gewünscht“ und im Vorfeld des Kongresses schon „aktiv“ mitgearbeitet. „Wir wissen, dass es eine schwierige Aufgabe wird, weil wir von angeblich 500 Fällen des Missbrauchs unterrichtet sind. Die Auswahl von repräsentativen Fällen, die nicht nur Falun-Gong-Anhänger, sondern auch politische Gefangene umfasst, wird das Kernproblem sein“, sagte Lopez Ibor.

Noch ist unklar, wie die Expertengruppe zusammengesetzt wird, was zum Beispiel von den Mitgliedern der Genfer Initiative heftig kritisiert wird. „Wir haben den Verdacht, dass der Psychiatrie-Weltverband die Untersuchung der Missbräuche in China verschleppen oder zu einer Farce verkommen lassen will“, erklärte Robin Jacoby, der Vorsitzende der Genfer Initiative, gegenüber der taz.

Robin Munro, der mit seinem jüngst auf Englisch erschienenen Buch „Gefährlicher Verstand: Politische Psychiatrie im heutigen China und ihre Ursprünge in der Mao-Zeit“ die Missbräuche in Chinas Anstalten beschrieb, nahm ebenfalls an der Debatte in Yokohama teil und äußerte ähnliche Bedenken wie Jacoby.

Munro kritisiert gegenüber der taz vor allem die einseitige Sicht des WPA, der zufolge die Missbräuche erst in den vergangenen Jahren wegen der Verfolgung der Falun-Gong-Sekte wieder zugenommen hätten. Außerdem habe der Weltverband von der Regierung in Peking keine Zusicherung, dass er die zu untersuchenden Fälle tatsächlich unabhängig auswählen könne. Munro fordert, dass vor allem die Schicksale des Schanghaier Arbeiterführers Wang Miaogen und des Pekinger Dissidenten Wang Wanxing, die beide seit über zehn Jahren in psychiatrischen Kliniken inhaftiert sind, in die Untersuchung einbezogen werden müssen. Nach seiner Schätzung könnten bis zu 15 Prozent der Psychiatriefälle in China politische Gefangene sein.

Lopez Ibor versicherte, der WPA werde auf einer unabhängigen Auswahl der Fälle beharren. Gleichzeitig sprach er sich dagegen aus, schon im Voraus mit dem Ausschluss Chinas zu drohen. „Unser Ziel ist die Verhinderung von Missbräuchen in der chinesischen Psychiatrie und nicht der Ausschluss der chinesischen Psychiater“, so Lopez Ibor. Er kündigte auch eine Initiative an, die Mittel für Fortbildungszulagen chinesischer Jungpsychiater bereitstellen will.

1983 hatte sich die Sowjetunion aus der WPA zurückgezogen, um einem Ausschluss wegen der Einsperrung von Dissidenten in der Psychiatrie zuvorzukommen. ANDRÉ KUNZ

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