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Dezentes Sprießen eines Damenbarts

Lidokino (2): Mit „Frida“, der Lebensgeschichte der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo, haben die 59. Filmfestspiele in Venedig begonnen

Wenn es Think-Tanks gibt, muss es auch Sensuality-Tanks geben. Vieles deutet darauf hin, dass die USA diese Speicher auslagern. Jenseits der südlichen Grenze, in Mexiko, wo das Essen scharf, der Tequila hochprozentig ist und die Musik so tief geht wie die Stimme der Chavela Vargas, bietet sich viel Platz dafür. Diesen Projektionsraum ist nicht neu – im Gegenteil, er ist als fester Bestandteil in die Filmgeschichte eingegangen. In der Vorstellung Hollywoods war Mexiko von jeher Fluchtpunkt für die Gesetzlosen, für „The Wild Bunch“, und es war freigebig, wenn es um einen Sexappeal der schmutzigeren Art ging (man denke etwa an eine Darstellerin wie Lupe Velez).

In den letzten Jahren hat sich Hollywood dem südlichen Nachbarn mit neuem Interesse zugewandt (ironischerweise zunächst mit spanischen Schauspielern wie Antonio Banderas, erst in letzter Zeit hat auch jemand wie Benicio del Toro an dieser Entwicklung teil). Es nimmt daher nicht wunder, wenn die Lebensgeschichte der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo verfilmt wurde, mit Salma Hayek in der Hauptrolle (deren Repertoire auf dem amerikanischen Markt erschöpfte sich vor ein paar Jahren noch darin, dass sie in „From Dusk Till Dawn“ einen vampiresken Schlangentanz hinlegte).

Kahlos Vita bietet eben die Intensität, die man sich vom Süden wünscht: Farbe und Schmerz, Kunst und Tragik und viel Sex. Als Kontrast passt dieser Eröffnungsfilm gut: hier das milde Lidolicht, an einem Tag, der wolkig beginnt, an dem Filmschaffende und Kritiker sanft zwischen Lagune und Adria hin und her radeln wie bei einem Schulausflug nach Hiddensee. Dort, im Kino, ein geschundener Körper und die klaren, leuchtenden Farben des postrevolutionären Mexikos. Gleich möchte man den grünen Chili, von dem Chavela Vargas an einer Stelle singt, am Abend auf dem Teller haben.

Eine glückliche Wahl war es nicht: „Frida“, das Biopic von Julie Taymor, leidet an den Problemen, die die Verfilmung einer Künstlervita mit sich bringt. Taymor klappert Lebensstationen ab, ohne daraus einen dramatischen Bogen zu gewinnen. Biopics bewegen sich von Episode zu Episode, und so bewegt sich auch „Frida“: von Kahlos Unfall (1922 wurde sie bei dem Zusammenstoß eines Busses mit einer Straßenbahn so schwer verletzt, dass sie Zeit ihre Lebens mit den Folgen zu kämpfen hatte) zur Begegnung mit Diego Rivera, von der Hochzeit über Künstlerfeste zu einem Aufenthalt in New York, über ihre und seine Affären – ihre mit Tina Modotti und Trotzki, seine mit unzähligen Frauen – zu den den folgenden Ehekrisen, über eine Ausstellung in Paris bis zu Kahlos Tod im Jahre 1954. Der Film umfasst einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren. Erstaunlicherweise bekommt Hayeks schönes Gesicht in dieser Zeit keine Falte, und erst gegen Ende wächst ihr der Damenbart, der für Kahlos Gesicht so charakteristisch ist wie die zusammengewachsenen Augenbrauen.

Obwohl Taymor Riveras Murales viel Raum gibt, lässt sie offen, aus welchen Bilderwelten sie sich speisen. Wie sie es hätte machen können, zeigte zuletzt „Y tu mama tambien“: Dort waren der Kamera Seitenblicke erlaubt, unter anderem auf das Mexiko der Campesinos. Taymor begnügt sich mit ein paar Chiffren: etwa mit einer Szene, die am Dia de los muertos auf dem Friedhof spielt und dabei eine Ahnung populärer mexikanischer Todesdarstellungen vermittelt. Kahlos Bilder wiederum setzt der Film in Szene, indem er sie in Bewegung bringt: Lebendig geworden, bieten sie eine Kulisse für Kahlos Seelenzustand.

Das mag bei einem Oeuvre, das sich stark auf die Person des Künstlers bezieht, funktionieren und bietet auch den einen oder anderen originellen Einfall. Letztlich aber kann Taymor das Problem nicht bewältigen, dass die Kunst im Erzählkino immer nur als Spiegel des Künstlerperson und -psyche dient. Was an ihr Kunst ist, wird ihr somit konsequent ausgetrieben.

CRISTINA NORD

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