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Krauts with Attitude (2)

Das Bremer Punk-Urgestein kommt zu sehr verspäteten Platten-Ehren: Tommy Rinnsteins CD von 1979

Die möglichen Gründe werden derzeit heiß verhandelt: Ist das neu erwachte Interesse an Punk bloß Nostalgie? Die übliche Reaktion einer Generation, die in dem Damals stets die bessere Zeit zu sehen gewillt ist? Oder liegt da ein Bedürfnis in der Luft: Nach einer Zeit, wo die heimische Plattensammlung mehr sein durfte, als bloßes Dokument des eigenen Geschmacks – und damit unerfreulich beliebig?

Bei Punk meinen manche, es sei eine Revolution gewesen. „Ich spürte: Das ist das erste Mal, dass Musik eine Regierung stürzen könnte“, wird Chrislo Haas (ehemals bei DAF und Liaisons Dangereuses) zitiert. Und zwar in dem Buch, das wohl der Auslöser für eine intensive Beschäftigung mit der ersten Generation von Punk in Deutschland war („Verschwende Deine Jugend“ von Jürgen Teipel). Ein gutes Buch.

Dennoch ist Thomas Klute etwas angesäuert, wenn dieses Buch zur Sprache kommt. Klute kam aus der Hippie-Szene, konnte eines Tages mit dem Rock-Star-Ding und endlosen Gitarrengewichse nichts mehr anfangen, nannte sich Tommy Rinnstein und gründete die Band Krauts, von denen dieser Tage zum ersten Mal eine Platte erscheint: die Single „New Wave!“, aufgenommen schon 1979. Als Punk noch nicht zur bierseligen Uffta-Konvention geronnen war.

Dass alle Welt nun über Berlin, Hamburg und Düsseldorf spricht, hat seine Gründe. Dass es in Bremen keine guten Bands gegeben hätte, nicht. Tommy findet es ärgerlich, dass in Teipels Buch samt Nachverwertung – CD und Ausstellung – die Hansestadt nur als Fußnote auftaucht.

Sicher, die erste Generation der Bremer Punk-Szene hat nicht annähernd die Verkaufszahlen gehabt, die DAF und Konsorten erzielten. Ein Label, das Plattform für die Szene hätte sein können, gab es in Bremen nicht. Von vielen Bands existieren nicht einmal Tonträger, und wenn, dann nur noch bei Ebay zu Liebhaberpreisen.

„Gespielt haben damals aber alle wichtigen Bands in Bremen“, erinnert sich Tommy. Und dass Ego-N mit seiner Single „Es fliegen keine Engel mehr“ kein Star der Neuen Deutschen Welle wurde, hat nur zum Teil damit zu tun, dass der eigenwillige Sänger so seine Macken hatte. Die Plattenfirma stampfte (fast) die gesamte Auflage ein, wie Plattenfirmen das bisweilen eben tun. „Das dürfte die rarste Single sein, die je aus Bremen kam, vermutet Tommy.

Einem an der Geschichte der Bewegung interessierten Menschen ist es zu verdanken, dass nun Licht ins Dunkel kommt. Mit „New Wave!“ leistet Holger Wiese mit seinem Phonomenal-Label einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte. Aus den Krauts gingen später A5, Organbank und Die Blender hervor. Aus den Blendern wurde später Abwärts. Die Krauts gab es nicht lange, wie die meisten Bremer Bands jener Tage. Einer wurde Gastronom, einer ging nach Berlin, wurde Künstler, einer ging ins Irrenhaus, einer verbrannte im Suff, mit Zigarette eingeschlafen, ein anderer erbte eine Viertelmillion und verlor das Interesse an der Musik.

Tommy Rinnstein machte weiter, krönte sich 1988 grinsend zum „Kaiser of Rap“, als kein Mensch daran dachte, mit deutschem HipHop Geld zu verdienen. „Den Witz hat damals niemand kapiert“, sagt er heute mit resignierter Gelassenheit. „Es gibt noch einiges an interessanten Aufnahmen von damals“, sagt Tommy. Wenn alles gut geht, gibt es demnächst weitere Geschichtsstunden mit den Headbangers.

Andreas Schnell

„New Wave!“ von den Krauts gibt es im gut sortierten Plattenhandel, via Internet unter www.phonomenal.com oder bei Plastic Fantastic im Fehrfeld.

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