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Selbstbewusste Rechtsextreme

Immer noch beflügelt der Erfolg Jean-Marie Le Pens bei den französischen Präsidentschaftswahlen die Rechtsextremen von der Front National. Bei ihrer Sommeruniversität inszenieren sie sich als Opfer und träumen von Macht und „Parallelregierung“

aus Annecy DOROTHEA HAHN

Die Macht. Das ist das nächste Ziel der französischen Rechtsextremen. Um dahin zu gelangen, will ihre größte Partei, die „Front National“ (FN), ihr Programm reformieren, ihre Kaderbildung intensivieren, ihre Strukturen erneuern und ihre Mitglieder verstärkt auf Unterwanderung anderer Organisationen schicken. Dafür will sie auch ihren 74-jährigen Chef Jean-Marie Le Pen, der im vergangenen April bei den Präsidentschaftswahlen mehr als 5 Millionen Stimmen bekam und gleich hinter den Konservativen Jacques Chirac rückte, im Jahr 2007 erneut als Kandidat aufbieten.

Auf der Sommeruniversität der FN in Annecy, die gestern zu Ende ging, herrschte auch Einigkeit darüber, dass die Partei ihrem Ziel so nahe sei wie nie zuvor. „Wir gehören jetzt zum Kreis der Großen“, erklärt der Generaldelegierte und offizielle Parteivize Bruno Gollnisch. Die zweite starke Person hinter Le Pen, seine jüngste Tochter Marine (34), sagt ohne den geringsten Zwischenton: „Wir können die Macht übernehmen.“ In Debatten ist die Rede von der Bildung einer „Parallelregierung“. Und die Aufforderung geht um, sich „allzeit bereitzuhalten“. Schließlich wird Chirac, so meint Le Pen in Annecy, „voraussichtlich nicht bis zum Ende seines fünfjährigen Mandates durchhalten“. Immerhin habe seine konservative Regierung ihre Versprechen schon drei Monate nach Amtsantritt gebrochen.

Die FN, die von sich behauptet, 30.000 Mitglieder zu haben und seit den Präsidentschaftswahlen ständig neuen Zulauf zu bekommen, will sich in Zukunft nicht mehr als Gehilfin der Konservativen geben. Die Zeit, „als wir Rechte an die Spitze der Regionen gewählt haben“, so Gollnisch selbstbewusst, „ist vorbei“. Jetzt müssten in Frankreich die Konservativen auf die FN zukommen, „wenn sie etwas von uns wollen. Wie in Österreich, Dänemark und den Niederlanden.“

Rund 250 Personen, Durchschnittsalter weit über 60, Damen mit Goldkreuzchen am Hals und Pudel auf dem Schoß, die Herren vielfach mit militärischen Orden am Revers, haben sich in dem Viersternehotel „Imperial Palace“, das zu der Essener Investment-Gruppe „Hopf“ gehört, versammelt. Die meisten Teilnehmer im Saal gehören zur alten Garde der FN. Zu jenen, für die Abtreibung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist und die buhen, wenn sie von Adoptionsrechten für homosexuelle Paare hören.

Auf dem Podium sitzen auch Vertreter der jungen Rechtsextremen zwischen 30 und 50. Die Mitglieder dieser „Generation Le Pen“ – darunter mehrere Akademiker – geben sich als Experten für den „kommunistischen Völkermord“ und für das „europäische Babel“. In Fragen der „Familienpolitik“ geben sie sich offener als ihr Publikum.

Wie so oft tritt die FN auch in Annecy als Opfer auf. Unter dem Thema „Die Freiheit gegenüber der totalitären Demokratie“ beklagen ihre Redner die Schikanen von staatlicher Schule (der sie „historische Unwahrheiten“ vorwerfen), von Gewerkschaften (die angeblich versuchen, Mitglieder loszuwerden, die für die FN kandidiert haben), von Banken (die angeblich FN-Mitglieder bei der Kreditvergabe benachteiligen) und vor allem von den Medien. Letztere befänden sich, so behauptet die FN, in den Händen von „Alt-68ern“ und „Freimaurern“. Beide hätten sich gegen die Partei verschworen, sorgten dafür, sie entweder „zu diabolisieren“ oder „totzuschweigen“.

Das Theater im Vorfeld der diesjährigen FN-Sommeruniversität war idealer Stoff für die Geschichte vom armen Opfer. Zuerst hatte ein sozialdemokratischer Bürgermeister im südwestfranzösischen Pau es abgelehnt, die Veranstaltung in seiner Stadt aufzunehmen. Seine Begründung: das Kongresszentrum habe bauliche Schäden. Das ging durch.

Dann fand die FN das Nobelhotel mit angeschlossenem Kongresszentrum am anderen Ende Frankreichs. Die Gegend bot den zusätzlichen Vorteil, dass Le Pen dort bei den Präsidentschaftswahlen im ersten Durchgang stärkster Kandidat war.

In Annecy versuchte es der rechtsliberale Bürgermeister Bernard Bosson von der UDF mit einem Verbot. Begründung: Wegen Gegendemonstrationen bestünde Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Das Verwaltungsgericht in Straßburg gab ihm zunächst Recht. Doch die oberste französische Justizinstanz, der von der FN in höchster Eile im August angerufene Staatsrat, unterstützte die Rechtsextremen. Er erklärte das Versammlungsverbot für die politische Partei für „illegal“.

In Annecy blieb die Sommeruniversität ganz allein an einem Hoteldirektor und an der örtlichen Linken hängen. Hoteldirektor Michel Couasnons, der „lieber mit etwas anderem in die Schlagzeilen“ gekommen wäre, zitiert das Strafgesetzbuch. Das verbietet ihm unter Gefängnisdrohung, Kunden wegen ihrer Herkunft oder ihrer Anschauungen zu diskriminieren. Das gilt auch für legale Parteien wie die FN. Die linken Parteien und Gewerkschaften ihrerseits haben an jedem Abend der Sommeruniversität zu einer Protestversammlung im Stadtzentrum von Annecy aufgerufen.

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