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berliner szenenArzt im Glas

Bleich und wohl erhalten

Neulich wurde im Medizinhistorischen Museum der Charité eine Feierstunde zum 100. Todestag des verdienstvollen Arztes Rudolf Virchow abgehalten. Zeitgleich wurde die neue Ausstellungsfläche im Museum eröffnet. Ein Chor sang, Redner gaben sich festlich, und nebenan, in der ebenfalls neu gestalteten Ausstellung, saßen die kleinen, bleichen Säuglinge in ihren Gläsern und rührten sich nicht.

Einer aber fehlte hier. Der Geehrte selbst. Zwar wird Virchows in einer weiteren Ausstellung im Museum gedacht, auch ist sein Arbeitstisch und seine Handschrift zu sehen. Und Sie werden nun sicher einwenden, was das denn solle, Virchow könne ja schwerlich eine Veranstaltung zu seinem Todestag besuchen. Ich halte Ihnen entgegen: Virchow, der so manisch die Schädel und Körper der von der Mikrozephalie Geschädigten sammelte, der rassistische Völkerschauen und Schädelmessungen gegen alle humanistischen Anwürfe als wissenschaftliche Methoden verteidigte, er hätte, wäre er konsequent gewesen, in seinem Testament verfügen müssen, dass man auch seinen Körper nach seinem Ableben konserviert.

Dann hätte ihn an diesem Abend ein Museumsdiener hereinschieben können, den großen Arzt im großen Glas, alt, bleich, bärtig und wohl erhalten. Vielleicht hätte man, den Puritanern zuliebe, eine schmucke Schleife auf einer gewissen Körperhöhe ums Glas gebunden. Und dann hätte man sich auch die etwas sehr peinlichen Lobhudeleien auf Virchow schenken müssen, denn in Anwesenheit von nackten Honoratioren lügt man nicht gern. Und Virchow wäre jetzt das, was er tatsächlich war, ein bedeutender Politiker und großer Forscher, leider mit einer Schwäche für positivistische Anthropologie. JÖRG SUNDERMEIER

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