: Der Prinz und die Prinzipien
Deutsche Zehnkampf-Meisterschaften im Mommsenstadion: Der Berliner André Niklaus, U 23-Europameister,kommt erst am zweiten Tag in Fahrt, weil ihn eine Verletzung mehr Sprintkraft gekostet hat als angenommen
Zehnkampf gilt als Königsdisziplin der Leichtathletik. „Königsdisziplin?“, fragt André Niklaus (21), „ich fühle mich eher als eine Art kleiner Prinz.“ Seine Anwartschaft auf den Thron deutete sich im vergangenen Jahr an, als er bei den Europameisterschaften der unter 23-Jährigen gewann – mit 8.042 Punkten und neuer Bestleistung. Der Weltrekord des Tschechen Roman Sebrle liegt bei über 9.000 Zählern, unerreichbare für den jungen Nachwuchsmann. Bundestrainer Claus Marek rechnet damit, dass sich der Berliner auf dem Höhepunkt der Karriere 8.500 Punkten nähern kann. „Das ist in der postanabolen Ära absolut okay“, sagt Marek zu den begrenzten Zukunftsaussichten. Niklaus ist in diesem Jahr bereits achtmal auf verbotene Substanzen getestet worden.
Blut wurde heuer noch nicht gezapft, worüber Niklaus froh ist: „Ich habe eine Spritzenallergie.“ Mit Anabolika lassen sich schnell Muskelberge züchten. In den 80ern wurde es häufig verwendet. Niklaus (1,90 m; 82 kg) wirkt im Vergleich zu den tschechischen Topathleten recht schmächtig. Aber er hat Zeit mit dem Aufbau der Bi- und Trizepse. Das beste Zehnkampfalter liegt bei Ende 20. „Ich bin bisher sehr ruhig aufgebaut worden und auch in Zukunft will ich mich nicht auf Teufel komm raus hochtrainieren“, sagt er: Denn bei Übereifer im Kraftraum drohen Verletzungen. „Der Faserriss war der Knaller“, erzählt er von einer Oberschenkelverletzung, die er sich Ende April zugezogen hat, ausgerechnet im Mommsenstadion, wo er am Wochenende erneut einen Wettkampf bestritt, die Deutschen Zehnkampf-Meisterschaften.
Er wollte endlich wieder über jene 8.000 Punkte kommen, mit denen man den Spitzenbereich betritt, und außerdem schauen, was der „Muskel so kann“. Er konnte noch nicht so viel. Zumindest am ersten Tag lag Niklaus zum Teil deutlich hinter seinen Bestleistungen zurück. Vor allem über 100 Meter in 11,30 Sekunden (Topresultat: 10,92) und 400 Meter in 51,18 Sekunden (48,60) enttäuschte er und lag nach Halbzeit um 150 Punkte hinter dem führenden Nils Winter zurück. Sein Trainer Rainer Pottel hoffte auf den Sonntag, denn da standen „günstigere Disziplinen“ an, zum Beispiel der Stabhochsprung, den Niklaus in der Jugend als Einzeldisziplin trainierte, bis der Athlet der LG Nike Berlin sein Repertoire erheblich erweiterte. Es lief gestern tatsächlich besser, dennoch sollte Niklaus laut Prognose von Bundestrainer Marek nur „um die 7.950 Punkte“ erreichen (der Wettkampf war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet). Die Kraftübungen (Diskus, Kugel und Speer) liegen Niklaus am wenigsten, dafür läuft er zum Ende des Zehnkampfs schnelle 1.500 Meter (4:23 Minuten).
„Finanziell sieht es eher schlecht aus“, sagt Niklaus, der demnächst zehn Monate als Zivildienstler im Olympiastützpunkt Berlin arbeitet. Der Verein und der Landessportbund geben ein bisschen Geld. Doch die Sporthilfe nahm den Nachwuchs-Europameister nicht in die Förderung, weil er 58 Pünktchen zu wenig mitbrachte. „Man sollte da nachgiebiger sein“, fordert er. Immerhin weise seine Entwicklung stetig nach oben. Und er sei auf einem professionellen Weg, versichert er, nur gelegentlich schaffe er’s nicht, wenn er etwa bei McDonald’s ordert („Fast Food ist meine Liebe“) oder „zu viel Feten“ feiert. Wenn der Prinz aus Hohenschönhausen zum König der Athleten aufsteigen will, muss er seine kleinen Schwächen in den Griff kriegen. MARKUS VÖLKER
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