Der rechtschaffene Modell-Punk

Als Jugendlicher besetzte Mario Kott in Thüringen ein Haus. Als Mathestudent verkaufte er in Potsdam Modelleisenbahnen. Dann kam Wolfgang Joop und machte den 27-Jährigen zum Model. Nun widmet er sich wieder der Stochastik

„Wenn sich Faschos angesagt hatten, haben wir dort Präsenz gezeigt“ „Ich sah mich mit blauen Haaren und stellte fest, das ging nicht mehr“

von GUNNAR LEUE

Die Jägerstraße in Potsdam ist nicht eben das, was man eine Flaniermeile nennen kann. Auch im kleinen Laden „Modellbahn Potsdam“ hält sich der Kundenandrang meist in Grenzen. Als der Student Mario Kott dort im Sommer letzten Jahres als Verkäufer jobbte und eines Tages etwas gelangweilt vor der Tür auf Kundschaft wartete, passierte Seltsames: Ein auf der Holperstraße vorbeifahrender schwarzer Mercedes stoppte plötzlich, und zwei adrett gekleidete Männer stiegen aus. Sie tuschelten miteinander, bis einer zu dem jungen blonden Hünen vor dem Geschäft sagte: „Bleib mal stehen!“

Was dann geschah, klingt wie ein modernes Boulevardmärchen. Der Jüngling wurde mitgenommen, um ein paar Hosen anzuprobieren, und einige Tage später war aus dem Studenten ein Model geworden. Der Mann mit dem durchtrainierten, tattooverziertem Körper lächelte seither von unzähligen Werbeplakaten und Magazinseiten. Der Aushilfsverkäufer ist das Model von „Rococo for Men – das Parfüm für den Mann von Joop“.

Wolfgang Joop war es auch, der den jungen Burschen im Vorbeifahren entdeckt hatte. So etwas ist dem in Potsdam lebenden Modedesigner nicht das erste Mal passiert. Im „Café Heider“ hatte Joop schon einmal spontan eine Kellnerin angesprochen und zum Supermodel aufgebaut. „Davon hatte ich zwar auch gehört, aber nie daran gedacht, dass mir so was selbst mal passieren könnte“, sagt Mario Kott. „Ich kannte Joop ja gar nicht.“

Das änderte sich nach der ersten Begegnung ganz schnell. Der 1,92-Meter-Mann mit den strahlend blauen Augen wurde in die internationale Modewelt regelrecht hineingestoßen. Kurzes Probelaufen, Foto-Shootings – der 27-Jährige konnte gar nicht so schnell gucken, wie die Welt an ihm vorbeirauschte.

Ein Jahr hatte er sein Mathematikstudium an der Uni Potsdam ausgesetzt, um stattdessen in New York, Paris oder Hamburg über die Laufstege zu hetzen. „Wenn du gefragt wirst: ‚Möchtest du die Welt sehen und dabei noch Geld verdienen?‘, dann sagst du natürlich: ‚Okay, der Stochastikkurs kann warten.‘ “ Die Chance war ja auch einmalig. Er lernte viele Leute kennen und verdiente nebenher nicht schlecht. Seinen Platz im Studentenwohnheim hat er inzwischen gegen eine Eigentumswohnung in Potsdam getauscht.

Die Welt ist für Mario nicht mehr dieselbe wie früher. Er sagt: „Wenn du so einen Job einmal gemacht hast, willst du immer wieder raus.“ Trotzdem macht er jetzt sein Studium zu Ende. „Ich hätte auch nach Hamburg ziehen können oder nach London, um dort weiter zu modeln. Aber ich kenne viele, die da von Casting zu Casting tingeln und kaum Geld für ihren Lebensunterhalt haben. Da mache ich doch lieber mein Mathestudium fertig und schaue, was sich danach ergibt.“

Mathematik! Es passt in die Modebranche wie ein Fisnote in eine Wurzelgleichung. „Mathe macht mir wirklich Spaß“, sagt Mario. Aber dass er als einziger Mathematiker in das Wohnheim mit den Sportstudenten kam, empfand er letztlich doch als großes Glück. „Die Matheleute sind schon ein anderer Menschenschlag. Das Klischee vom Typen mit Jesuslatschen und Nickelbrille, der vor allem Cornflakes isst, war aber nie mein Ding.“

Mit Klischees hatte Mario Kott schon als Teenager seine Probleme. Damals, als er noch Punk war, im klassischen Schwarz-Outfit. Er kommt aus der thüringischen Kleinstadt Schmalkalden, wo es Anfang der 90er-Jahre eine relativ starke linke Szene gab. In der waren seine Kumpels aktiv, und deshalb gehörte auch er irgendwann dazu. „Wenn sich auf einer Dorfdisko Faschos angesagt hatten, sind wir mit ein paar Autos hingefahren und haben Präsenz gezeigt.“ Nicht selten endete das in einer Schlägerei. Das war sozusagen der politische Kampf.

Andererseits machte sich Mario, dessen Eltern „normale Arbeiterklasse“ sind, beizeiten ums Gemeinwohl verdient. „Zur Wendezeit hatten wir eine Villa besetzt, die wohl vorher ein FDJ-Haus war. Wir haben einen Verein gegründet und das Haus renoviert.“ In der „Villa K“ spielten oft Grufti- und Reggae-Bands, es gab Kinderveranstaltungen, und Mario betrieb die Kellerbar. „Ich wollte irgendwas Nützliches machen. Also habe ich mich um einen ordentlichen Barbetrieb gekümmert und abends oder am Wochenende in unserer Suppenküche Leute mit betreut.“ Nebenbei trug er morgens Zeitungen aus, noch vor der Schule. „Ich wollte die Leute immer überzeugen, dass ich arbeiten kann. Als linker Jugendlicher wurde einem in der Hinsicht ja nicht viel zugetraut.“ Mario, der rechtschaffene Punk, der was leisten will.

Um so größer war der Schock in Berlin, wohin er bereits damals gelegentlich trampte. Die Großstadtpunks zeigten nicht ansatzweise seine preußischen Tugenden. „In Berlin hieß Punksein vor allem an U-Bahnhöfen stehen und betteln: ‚Haste mal ’ne Mark?‘ Ich dachte, das gibt’s doch gar nicht. Das kann doch nicht alles sein.“ Mario war eine Weile bei der Kirche von unten und beteiligte sich regelmäßig an den Revolutionären 1.-Mai-Demos in Kreuzberg und Prenzlauer Berg, doch er fand „keinen richtigen Anschluss“.

Mitte der 90er ging er nach Potsdam zum Studium, im Studentenklub übernahm er sofort wieder die Bar. Und eines Tages trug er seine erste Jeans. Der Kontakt mit den Sportstudenten sorgte für seine endgültige Abkehr vom Punkertum. Sie nahmen ihn mit ins Fitnessstudio. „So kam der Umschwung. Ich sah mich mit meinen blauen Haaren und stellte fest, das ging nicht mehr. Das hätte ich nie gedacht.“

In seine Heimat fährt er immer noch zu Weihnachten und besucht die alten Punkerkumpels. Die meisten haben schon Familie. Dass er selbst inzwischen in eine Welt Einzug hielt, die in keinem größeren Gegensatz zu seiner Vergangenheit stehen könnte, ist dann kaum ein Thema. Man spricht über die alten Punkzeiten. Nur einmal im Jahr leben sie wieder praktisch auf. Bei einem großen Punkmusik-Festival bei Rostock, wo sich Mario mit Freunden ein Wochenende bei Bier und Pogo die Nächte um die Ohren schlägt.

Irgendwann will er jedoch „raus aus Deutschland“. Mario Kott ist es hierzulande oft zu unfreundlich. „Vielleicht mal ein Jahr nach Italien oder nach Afrika“, kann er sich vorstellen. Oder New York. „Als Mathematiker mit angewandten Computerkenntnissen hat man viele Möglichkeiten, ob in der Forschung oder bei Banken.“ Deshalb sitzt er jetzt wieder über seinen Hausarbeiten. Nicht mal die Glamourbranche konnte dem Expunk aus Thüringen seine preußischen Tugenden austreiben.